"Netanjahu ist jetzt flexibler" – Israels Botschafter über den Friedensprozess und die Deutschen

Der neue israelische Botschafter ist ein Mann der leisen Töne. Vorsichtig wählt er seine Worte, zumal er Wert darauf legt, das Interview auf Deutsch zu führen. Das Gespräch dauert schon fast eine Stunde, da macht sich eine gewisse Nervosität bemerkbar. Yaacov Hadas-Handelsman möchte gerne an die Bar des Springer-Journalistenklubs umziehen, um rauchen zu können. Doch das ist nicht nötig: Schnell wird ein Aschenbecher organisiert. Der Botschafter zündet sich die erste seiner dünnen, eleganten Kent-Zigaretten an. Es sollten dann noch einige mehr werden. Denn Daniel-Dylan Böhmer und Clemens Wergin hatten viele Fragen – und der Botschafter viel zu erzählen. Das Interview gibt es in ganzer Länge unter: welt.de/botschafter

Die Welt:

Jeder israelische Botschafter kommt mit seiner eigenen Familiengeschichte im Gepäck nach Deutschland. Welchen familiären Bezug haben Sie zu Europa?

Yaacov Hadas-Handelsman:

Meine Eltern stammen aus Polen. Sie sind noch vor dem Krieg, 1938 bis 1939, nach Palästina ausgewandert. Dort haben sie geheiratet und ihr Haus gebaut. Die Familie meiner Mutter blieb in Südostpolen, und nach Ausbruch des Krieges kam sie unter sowjetische Besatzung. Sie bekamen eine Möglichkeit, im asiatischen Teil der Sowjetunion zu arbeiten und verließen Polen. Nur dadurch haben sie überlebt. Die Familie meines Vaters hingegen kam aus der Mitte Polens, aus der Gegend von Tschenstochau. Leider. Dieses Gebiet wurde von den Deutschen besetzt und die Familie meines Vaters wurde fast vollkommen ausgelöscht. Nur einige Cousinen und Cousins zweiten und dritten Grades haben überlebt.

Sie haben später in Murnau am Staffelsee Deutsch gelernt. Wie kam es dazu?

Ich hatte ja gewisse Grundlagen. Wenn meine Eltern nicht wollten, dass ich verstehe, was sie miteinander reden, haben sie Jiddisch gesprochen. Darum wollte ich als kleiner Junge natürlich so viel wie möglich davon aufschnappen und hatte irgendwann einen kleinen Wortschatz. Das haben sie dann gemerkt und sind zu Polnisch übergegangen, was mir dann doch zu schwer war. Aber als ich an der Universität hörte, dass man für eine zusätzliche Fremdsprache andere Kurse erlassen bekam, habe ich mich für Deutsch entschieden. Später, im Außenministerium, habe ich dann im Rahmen eines Fortbildungsprogramms meine Deutschkenntnisse erweitert. Mit einem Privatlehrer in Israel, bei einem Aufenthalt in Wien und am Goethe-Institut in Murnau. Sie dachten, wenn sie uns dort aufs Land schicken, dann konzentrieren wir uns nur auf unsere Studien. Aber so ganz hat das nicht funktioniert. München war ja nicht weit weg.

Es scheint zum Schicksal israelischer Botschafter in Deutschland zu gehören, sofort ins kalte Wasser geworfen zu werden. Kaum waren Sie hier, brach die Grass-Debatte aus. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Es war ein bisschen bizarr, wie da die Tatsachen verdreht wurden. Aber es geht auch um die Beziehung zwischen unseren Völkern, etwa um die Frage, ob man Israel kritisieren darf. Die Antwort auf diese Frage lautet eindeutig: Ja. Kritik an Israel ist kein Tabu. Tatsächlich wird mein Land ja auch in der deutschen Presse immer wieder kritisiert. Aber dieses Gedicht, in dem die Fakten so aggressiv auf den Kopf gestellt werden, wirft doch die Frage auf, was der Autor damit eigentlich bezweckt. Dazu kommt die Sprache, die er verwendet. Vor 80 Jahren wurden die Juden als das Unglück der Welt hingestellt. Macht man heute mit Israel dasselbe?

In Teilen der europäischen Linken gibt es einen starken antiisraelischen Trend. Die deutsche Sozialdemokratie hat dem bisher widerstanden. Hat SPD-Chef Sigmar Gabriel mit seiner Apartheid-Äußerung nach dem Besuch in Hebron schon mal den Tabubruch geprobt?

Über Gabriel möchte ich mich nicht äußern. Aber was den allgemeinen Trend in Teilen der europäischen Linken angeht, haben Sie völlig recht. Da ist immer wieder die Formel zu hören: Ich habe gar nichts gegen Israel, ich habe gar nichts gegen die Juden, ich habe nur etwas gegen die israelische Regierung. Man könnte annehmen, das sei kein Wunder, wenn Linke über eine konservative Regierung sprechen. Aber: Diese Argumentationsfigur haben wir auch in der Vergangenheit immer gehört, ganz egal, wer in Israel regierte. Sogar in den Zeiten des Sozialdemokraten Jizchak Rabin und seines Oslo-Friedensprozesses. Natürlich ist nicht jeder, der Israel kritisiert Antisemit. Aber sicher ist: Die Trennlinie zwischen Antisemitismus und Antizionismus ist nicht mehr so klar, wie sie einmal war.

Das Verhältnis zwischen Angela Merkel und Benjamin Netanjahu ist nicht das Beste. Insbesondere stößt der fortgesetzte Siedlungsbau in den Palästinensergebieten auf Kritik. Warum hält Israel daran fest?

Auch zwischen Freunden gibt es immer mal Differenzen. Und die deutsch-israelischen Beziehungen sind so eng wie wohl nie zuvor. Wir waren immer bereit, mit den Palästinensern über Frieden zu reden. Diese Regierung hat drei wichtige Schritte unternommen, um das zu beweisen: Da war zunächst Netanjahus Bar-Ilan-Rede 2009, in der er sich zur Zweistaatenlösung bekannt hat, dann der beispiellose zehnmonatige Siedlungsbau-Stopp und schließlich die fundamental veränderte Sicherheitspolitik im Westjordanland. Dabei wurden sehr viele Checkpoints abgebaut, und die palästinensische Wirtschaft hat sich enorm positiv entwickelt. Dennoch haben sich die Palästinenser keinen Schritt auf uns zu bewegt. Selbst wenn man uns misstraut, soll man unseren Friedenswillen doch einfach auf die Probe stellen. Vielleicht bringt uns der aktuelle Briefwechsel zwischen Netanjahu und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas voran.

Darin schreibt Netanjahu, die jetzt gebildete große Koalition sei eine einzigartige Chance für Fortschritte. Worin besteht genau diese Chance?

Darin, dass jetzt ein großer neuer Partner in diese Koalition eingetreten ist. Mit 28 von 94 Abgeordneten ist Kadima die größte Fraktion in der Regierung.

Netanjahu ist also nicht mehr leicht durch Splitterparteien erpressbar?

Er ist sicher flexibler. Und Kadima hat eine bestimmte Haltung. Es ist gut möglich, dass mit ihr Fortschritte im Friedensprozess möglich sind. Zumindest sind die Chancen jetzt besser als zuvor.

Kann Deutschland in dieser Phase zwischen Palästinensern und Israeli vermitteln?

Deutschland tut schon sehr viel, und dafür sind wir sehr dankbar. Ja, Deutschland kann etwas tun. Vor allem, wenn es die Palästinenser überzeugt, neuen Friedensgesprächen eine Chance zu geben.

Israel fehlt es vor allem an strategischer Tiefe. Kann Deutschland, kann Europa helfen, indem es Sicherheitsgarantien gibt, wenn es zu einem palästinensischen Staat kommt?

Ja. Wie auch immer die Lösung aussieht – sie wird auf Sicherheitsgarantien gegründet sein. Und Europa und Deutschland werden dabei eine Rolle spielen, eine Rolle spielen müssen. Wie genau diese Rolle aussieht, darüber ist es noch zu früh zu sprechen.

In Israel gibt es die Sorge, dass die internationale Gemeinschaft dem Iran in den anstehenden Verhandlungen zu weit entgegenkommt und genug Schlupflöcher bleiben, um die Bombe zu vollenden. Was wäre ein für Israel akzeptables Ergebnis?

Israels Haltung ist sehr einfach. Der Iran soll die Anlage in Fordo zerlegen, die Anreicherung auf 20 Prozent stoppen und andere Anreicherung begrenzen auf das, was sie für zivile Anlagen brauchen.

Auf drei oder 3,5 Prozent könnte Teheran also anreichern?

Ja, aber nur eine beschränkte Menge, die für den zivilen Reaktor gebraucht wird. Mehr will ich dazu nicht sagen, weil niemand weiß, was bei den Gesprächen in Bagdad herauskommen wird.

Sie waren schon Botschafter in Jordanien, außerdem stationiert in Katar und der Türkei. Wie sehen Sie die derzeitigen Entwicklungen in der arabischen Welt. Bedrohung oder Chance?

In erster Linie ist es etwas, das die Araber selbst angeht. Die arabischen Völker haben ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen. Es ist gefährlich nicht als Phänomen an sich, sondern wegen der Ergebnisse, die das haben könnte. Alle Menschen haben das Recht, in Frieden und Freiheit zu leben, ihre Ehre zu bewahren und ein Auskommen zu haben. Aus unserer Sicht ist das im Moment noch ein Anfang. Die Araber sind fähig, Demokratie und Freiheit zu erreichen. Aber es wird viel Zeit brauchen, es gibt keine Sofortlösung. Es hat auch in Europa sehr viel Zeit gebraucht, bis man zur heutigen Situation kam. Und auch dort sind nicht alle Staaten auf demselben demokratischen Niveau. Für uns wäre es selbstverständlich besser, mit demokratischen, freien und friedlichen Nachbarn zu leben. Aber wir verstehen auch, dass das nicht so einfach ist.

Am Anfang spielte das Thema Israel bei den Revolutionen kaum eine Rolle. Nun scheint es im ägyptischen Präsidentschaftswahlkampf aber zum guten Ton zu gehören, den Frieden infrage zu stellen. Sind die alten arabischen Obsessionen zurück?

Ja, leider. Am Anfang war das tatsächlich nicht so. Und manche Leute waren sehr stolz darauf, dass in den arabischen Ländern eine Revolution möglich war, die nicht antiwestlich, antichristlich, antijüdisch, antiamerikanisch, antibritisch, antiisraelisch war. Danach hat sich die Lage geändert. Tatsächlich ist es sehr einfach, etwas zu zerstören, aber viel schwerer, etwas anderes an seiner Stelle aufzubauen. Und wenn man dann in Probleme gerät, dann gibt es eben Leute, die sagen: Das geschieht nicht wegen uns, sondern wegen der Israelis.

Ist Israelfeindlichkeit also die Rückfallposition der arabischen Politik?

Ja. Israel ist leider immer ein guter Punchingball, besonders in der arabischen Welt. Diese Leute benutzen Israel. Sie denken, wenn jemand als Anti-Israel-Mann bekannt ist, bekommt er dafür Zustimmung. Es ist eine menschliche Eigenschaft, für die eigenen Fehler immer andere verantwortlich zu machen, und in diesem Falle ist es Israel. Oft handelt es sich um wirklich lächerliche Anschuldigungen, die auch unabhängig davon existieren, ob es nun gerade einen Friedensprozess gibt oder nicht. Kurz- und mittelfristig wird das nicht besser werden. Ich hoffe aber, dass es sich langfristig ändern wird.

Quelle: Die Welt, 21.05.2012

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