Mit der Bombe leben

Ein Militärangriff auf die Nuklearanlagen in Iran ist keine Option. Israel muss lernen, sich an die Bedrohung zu gewöhnen.

Nach einer langen Pause des Wegschauens, in der die europäische Schuldenkrise und der sogenannte Arabische Frühling die Aufmerksamkeit beanspruchten, interessiert sich die Weltöffentlichkeit wieder für das iranische Nuklearprogramm. Der unmittelbare Grund ist der jüngste Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) über die Kernforschungsanlagen Irans, der in Wien dem Gouverneursrat vorgelegt wird. Dazu kommt die »Begleitmusik« aus Israel: die andauernde Diskussion über die angebliche Entscheidung von Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak für einen militärischen Angriff auf die nuklearen Anlagen Irans.

Wer die Entwicklung des iranischen Nuklearprogramms aufmerksam verfolgt, für den bietet der IAEA-Bericht weder Neuigkeiten noch Überraschungen. Neu ist allerdings, dass die IAEA als zuständige Autorität die iranischen Bemühungen um Kernwaffen mit zahlreichen technischen Daten belegt.
Shimon Stein

ist israelischer Diplomat. Er war von 2001 bis 2007 Botschafter seines Landes in Berlin. Heute leitet er ein privates Institut für Politikberatung.

Wer nach dem sogenannten smoking gun sucht, einem eindeutigen Beweis für die iranische Absicht, nukleare Waffen zu entwickeln, der wird auch im neuen IAEA-Bericht nichts finden. Nichtsdestotrotz deuten die Fakten daraufhin, dass Iran über die zivile Nutzung der Kernkraftenergie auf dem Weg ist, sich eine militärische nukleare Fähigkeit anzueignen. Die Frage heute ist deshalb nicht, ob das Land die technologischen Fähigkeiten besitzt, eine Atombombe herzustellen – hier lautet die Antwort: Ja –, sondern wann das Land die politische Entscheidung treffen wird, es zu tun. Für die Gegenthese, es handle sich lediglich um ein ziviles Programm, liegt die Beweislast weiter bei Iran.

Im vergangenen Oktober war es acht Jahre, dass die »Troika« (die Außenminister Deutschlands, Großbritanniens und Frankreichs) Teheran mit der erklärten Absicht besucht hat, die dortigen Machthaber mit diplomatischen Mitteln und wirtschaftlichen und technologischen Anreizen von der Urananreicherung abzubringen. Und wie sieht die Bilanz nach acht Jahren aus? Iran hat diese Jahre genutzt, um die schwierigste technische Hürde auf dem Weg zur Urananreicherung zu beseitigen und sich mithilfe von außen auch die Komponente und das für die Herstellung von Waffen und Raketenträgern erforderliche Wissen zu beschaffen. All das trotz der Sanktionen, die Iran von seinen Vorhaben nicht abbringen konnten. Fazit ist, die Diplomatie hat bis heute versagt.

So stellt sich im Lichte des neuen IAEA-Berichts die Frage, wie es weitergehen soll. Welche Optionen stehen uns zur Verfügung, um die politische Entscheidung von Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei zu verhindern, die irgendwann in den kommenden Jahren ansteht: nämlich angereichertes Uran zu produzieren, um eine nukleare Abschreckung aufzubauen (mit mindestens vier nuklearen Sprengköpfen)?

Erstens muss der Westen bereit sein, Iran klarzumachen, dass alle Optionen auf dem Tisch sind. Auch wenn man sich am Ende gegen militärische Maßnahmen entscheidet, muss man, um Aussichten auf einen besseren diplomatischen Erfolg zu erzielen, alle verfügbaren Hebel in Bewegung setzen. Es war und bleibt ein Fehler, Iran von Anfang an signalisiert zu haben, es gebe keine militärische Option – unabhängig von seinem Verhalten.

Zweitens müssen die bislang beschlossenen Sanktionen zumindest von allen Mitgliedern des Weltsicherheitsrates umgesetzt und zusätzliche Strafmaßnahmen verhängt werden. Die bisherigen Sanktionen haben die iranische Regierung nicht davon abgehalten, ihre Absichten zielstrebig zu verfolgen. Da die neuen Sanktionen für das Regime (und für die Bevölkerung, die Meinungsumfragen zufolge das staatliche Nuklearprogramm befürwortet) noch schmerzhafter sein sollen als die bisherigen, muss der Öl- und Finanzsektor mit einbezogen werden. Zugegeben, das würde vorübergehend Auswirkungen auf die Märkte haben. Aber der Westen muss bereit sein, Opfer für seine Stabilität und Sicherheit zu bringen. Ist er dazu nicht bereit, sollte die Politik auch aufhören, schärfere Maßnahmen zu fordern. Da man leider davon ausgehen muss, dass weder China noch Russland eine weitere Verschärfung von Sanktionen unterstützen, muss der Westen die Initiative ergreifen.

Mehr bei ZEIT online vom01.12.2011.

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