Vor 50 Jahren wurde Eichmann verurteilt

Nur ein Rädchen im Getriebe der Grausamkeit. Nichts als ein Bürokrat, auf banale Weise böse, ein menschliches Monstrum. Mit solcher Kombination aus Dämonisierung und Bagatellisierung hat man versucht, Adolf Eichmann zu beschreiben. Wie Sprache daran scheitert, die Erfahrungen der Schoah-Opfer zu schildern, so scheitert sie daran, die Tätercharaktere zu erfassen. Gefasst aber wurde Eichmann, Leiter des „Judenreferats IV B 4“ beim Reichsicherheitshauptamt, Protokollant der Wannsee-Konferenz, Organisator der Deportationen in die Vernichtungslager des besetzten Europa. Gefasst 1960 vom israelischen Geheimdienst in seinem argentinischen Exil.

Eichmann, geboren 1906, wurde am 31. Mai 1962 in Israel hingerichtet. Das Urteil erging heute vor fünfzig Jahren.

„Was befohlen wurde, musste ich machen“, hatte der Angeklagte behauptet. Seinen Beitrag zur „Endlösung“ wollte er verstanden wissen als Erfüllung einer logistischen Aufgabe. Völlig anders klang sein Bekenntnis gegenüber NS-Kollegen in Argentinien, wie jetzt die Historikerin Bettina Stangneth nachwies (Eichmann vor Jerusalem. Das unbehelligte Leben eines Massenmörders. Arche Verlag, 2011). In Buenos Aires hatten einige NS-Exilanten, schockiert von den Berichten über sechs Millionen ermordete Juden, Eichmann Mitte 1957 eingeladen, in der Hoffnung, er werde diese „Propaganda“ entlarven. Man zeichnete die Gespräche mit Tonband auf, es sollte Material zur Rehabilitierung entstehen. Der Gast aber lieferte nichts Entlastendes. Unzufrieden war er, weil von den 10,3 Millionen Juden in Europa nur sechs Millionen „eliminiert“ wurden: „Auch ich bin schuld mit daran (…).“ Das Vergehen der Juden, erklärte Eichmann der privaten Runde, sei ihre geistige Überlegenheit.

„Noch bevor Rom überhaupt gegründet wurde“, hatten sie schon Schrift und Gesetz gekannt, „für unser Blut und unser Volk“, hätte man „den schlauesten Geist der heute lebenden Geister“ vernichten müssen. Alles ist da: Motiv, Intention, Geständnis. Deutlich bestätigt das noch einmal die Rolle des Neides im Antisemitismus, der über Sozialneid weit hinausging. Kohäsionsneid könnte man diesen Neidtypus nennen. Er erstreckte sich auf das tatsächliche oder fantasierte intellektuelle und emotionale Vermögen einer Gruppe, die in der Diaspora ihr Bildungsbewusstsein, ihren emotionalen Zusammenhalt entwickeln hatte müssen.

Daher hatte es das NS-System gerade auch auf die Zerstörung der jüdischen Familien abgesehen. Im Kern zeigt sich der Nationalsozialismus als Nationalsadismus. Ihm ging es um perverse Riten der Dehumanisierung, die Zeugen, auch im Eichmann-Prozess, brachten das ans Licht. Unverhüllt ging es um Glückszerstörung, etwa wo man in Lagern Mütter und Väter von ihren Kindern trennte oder Ehepaare auseinanderriss, und auch schon, als Rassegesetze „nur“ den Spaziergang im Park oder den Kauf von Seife verboten. Hier verbirgt sich die tiefste und tabuisierte Scham der Tätergesellschaft: Dass sie aus Neid und Sadismus Unschuldige gefoltert und ermordet hat. Eichmann ist ihr Symbol.

Caroline Fetscher im TAGESSPIEGEL vom 18.12.2011.

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