Bericht: Veranstaltung mit Prof. Susanne Schröter

„Die Studenten von heute können wieder Antisemitismus“

Sie rufen „Queers for Palestine“ und schwärmen für „black lives matter“. Studenten und Professoren an Universitäten. In Deutschland und anderswo. Sie reden von Gerechtigkeit und beklagen das Unrecht auf der Welt. Und für sie ist völlig klar, wer die Schuldigen sind. Die weißen Männer, die Kolonisatoren, die Zionisten, Israel. Und – richtig! – die Juden. Sie werden als weiß eingeordnet. „Woker Rassismus“ oder einfach nur „Farbenblindheit“? „Aber Unrecht hat doch nichts mit der Hautfarbe zu tun“, empört sich die Ethnologin Prof. Dr. Susanne Schröter. Und eines sei inzwischen völlig klar: „Die Studenten von heute können wieder Antisemitismus.“

Aspekte des Antisemitismus kämen ins Licht, die zwar schon immer da waren, aber bisher eher im Hintergrund standen. Die Freudentänze auf den Straßen der islamischen Welt? Und jetzt auch auf unseren Straßen? Nun ja – wir haben vielleicht nichts anderes erwartet. Aber die UN-Frauenorganisation, die sich sonst so vehement gegen Femizide ausspricht – wo ist nach dem Massaker vom 7. Oktober ihre kritische Stimme? Wo blieb die Empörung darüber von UN-Generalsekretär Guterres? Der Ausspruch, Israel sei ein „rostiger Dolch im Körper der islamischen Welt“ von Ali Erbas, dem Chef der türkischen Religionsbehörde Diyanet, habe sie dann doch schockiert, sagt die Autorin vieler Bücher zum Thema Migration, Islam und Kolonialismus.

Der Antisemitismus der Hamas ist nicht neu. Seine Wurzeln wurden in der Frühzeit des Islam gelegt. Mohammed vertrieb zwei jüdische Stämme aus Medina und löste den dritten Stamm durch Massakrierung der Männer und Versklavung der Frauen auf, weil sie sich ihm und seiner neuen Religion nicht anschließen wollten. Amin al-Husseini wurde von den Briten 1921 als Mufti von Jerusalem eingesetzt. Er arbeitete  ab 1937 mit dem nationalsozialistischen Regime zusammen, lebte von 1941-45 in Berlin und wurde Mitglied der SS. Von Berlin aus verbreitete er über den deutschen Auslandsrundfunk „Radio Zeesen“  die nationalsozialistische Propaganda im arabischen Raum. Bei seiner Rückkehr nach Ägypten wurde er von der 1928 gegründeten Muslimbruderschaft verherrlicht, weil er tausende jüdische Kinder der Shoah ausgeliefert hatte. „Hitler hat leider nicht alle vergast“, sei heutzutage von der Hamas zu hören, und nicht nur von ihr. Und sie selbst, so Susanne Schröter, gelte in manchen Kreisen als „antimuslimische Rassistin“, weil sie solche Entwicklungen benenne.

Auch der „linke Antisemitismus“ wächst immer weiter. Wo liegen seine Wurzeln? Bei Intellektuellen wie Jean-Paul Sartre, dem Vorbild von vielen Linken in den 60er Jahren? Damals wollte man den „Imperialismus zerschlagen“. Die Linken schlossen sich Befreiungsbewegungen an. „Wenn Befreiungsbewegungen nicht siegen,“ so Schröter, „eignen sie sich zum Bündnis.“ Das linke Engagement führte zu den Tupamaros 1962 in Berlin und schließlich 1976 zur „Operation Entebbe“, der Entführung einer Air France-Maschine von deutschen und arabischen Terroristen, bei der die jüdischen Fluggäste selektiert wurden.

Doch diese aktionistische Ebene sei etwas anderes als die heutige Stimmung an den Unis. „Die alten Kolonien sind inzwischen unabhängig, doch das koloniale Mindset im Westen ist geblieben.“ Es gibt eine schematische Vorstellung von der Welt: Die Unterdrückung durch den weißen Mann auf der einen und auf der anderen Seite steht der„globale Süden“. Dies ist angeblich die einzige Theorie, die Menschlichkeit verspricht

Sogar der Holocaust wird von heutigen Professoren oft nur als ein „Verbrechen des weißen Mannes“, also des Westens gesehen. Das ist praktisch. Denn so lässt sich „die deutsche Schuld verharmlosen.“ Sogar heute, in der dritten und vierten Generation nach der Shoah, ist offenbar die Belastung schwer zu ertragen: man will nicht mehr auf der Täter-, sondern auf der Opferseite stehen. Genauso wie damals. Wie im Jahr 1945. Als antisemitische Erzählungen in den deutschen Familien noch zum Alltag gehörten.

An den Unis arbeiten heute „linke“ Wissenschaftler mit Islamisten zusammen. Darunter kleinere Organisationen wie „Generation Islam“, „Realität Islam“ und „Muslim Interaktiv“. Die religiösen Fanatiker haben sich eine postkoloniale Sprache angeeignet. Das erzeugt gefährliche Gemeinsamkeiten. Israelfreundliche Professoren sind an den heutigen Unis eine Seltenheit, hat Susanne Schröter während ihrer Lehrtätigkeit festgestellt. Mehr noch: Jüdische Studenten – und sogar Schüler – werden „per se“ der Täterseite zugeordnet. Ein Zuhörer berichtet über einen Vorfall aus der Berliner Hilfsorganisation „Arche“: „Erst schneiden wir den Juden die Kehle durch und dann den Christen“ – meinte einer der dort betreuten Schüler. Und die Präsidentin der Harvard Universität bewertete ihren Rücktritt nach antijüdischen Ausschreitungen auf dem Uni-Campus als persönliche Diskriminierung einer Schwarzen. Der Antisemitismusbeauftrage der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Sigmount Königsberg, beobachtet: Jüdische Studenten machen zu ihrer eigenen Sicherheit immer öfter home-office. „Sie haben Angst. Eine Parallele zu den 30er Jahren? Damals waren die Universitäten als erste Institutionen judenfrei.“

Sind wirklich die Professoren die treibende Kraft hinter dem aktuellen Antisemitismus und weniger die Studenten? Anders herum als in den 1968er Jahren? Eine Zuhörerin will das wissen. „Die Professoren sind es. Der Antisemitismus wird im Hörsaal gepredigt und als aktueller Stand der Wissenschaft präsentiert. Die Studenten können dem nicht entkommen. Das Humboldt’sche Ideal – Pluralität und Argumente austauschen – ist nicht mehr da. Freiheit ist nicht mehr da. Sie sagen Freiheit, aber sie machen das Gegenteil,“ erläutert Susanne Schröter.

Was kann man tun? Ein Vorschlag eines Lehrers im Publikum: junge – eher nicht linke – Leute sollten mehr ihre Meinung äußern. „Schüler bis zur zehnten Klasse sind noch nicht versperrt – das kommt später.“ Und hochschulpolitisch? Geht da überhaupt was? „Natürlich. Man muss Förderprogramme genauer durchleuchten.“ Zurzeit, so die Referentin, „wird antisemitischer Mainstream mit Geld unterstützt. Der Staat muss da viel mutiger sein.“ Doch nicht nur der. „Jeder Einzelne hat einen Einflussbereich. Es steht und fällt alles mit dem Engagement des Einzelnen.“

Text: Gudrun Küsel

Photos (Copyright): cm.sommer

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