Bericht: 30 Jahre Jüdische Immigration aus der ehemaligen Sowjetunion

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Die Veranstaltung in Kooperation mit der Berliner Landeszentrale für politische Bildung rückte ein wenig bekanntes Thema ins Blickfeld: Jüdische Immigration aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, vor genau 30 Jahren von der letzten Regierung der DDR initiiert. Weit mehr als 200.000 sowjetische Juden kamen und veränderten jüdisches Leben in Deutschland grundlegend.

Die drei Referenten betonten unterschiedliche Aspekte.

Almuth Berger widmete sich der Vorgeschichte in der DDR: 1990 bekannte man sich endlich zu Schuld und Verantwortung gegenüber Juden und Israel und wollte ‚wiedergutmachen‘. Deshalb die legendäre Erklärung der Volkskammer im April 1990, in der man sich für begangenes Unrecht entschuldigte, deshalb der Beschluss im Juli 1990, der sowjetischen Juden ein unbürokratisches Bleiberecht zusicherte. Die Bürgerrechtsbewegung in der DDR war treibende Kraft dieser Neuorientierung, die nach der Wiedervereinigung auch die Bundespolitik bestimmte.

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Yuriy Gurzhy erzählte seine persönliche Geschichte, eine Erfolgsgeschichte. 1995 mit 20 Jahren nach Deutschland gekommen, fasste er schnell Fuß, wurde Musiker und Schriftsteller. Seine Mutter engagierte sich von Anfang an leidenschaftlich bei der Integration der jüdischen Zuwanderer. Er habe heute in Deutschland ein glückliches Leben, besinne sich aber auch zunehmend auf seine ukrainischen Wurzeln, sei also Ukrainer, Jude, Deutscher und fühle sich wohl zwischen den Welten. In die Jüdische Gemeinde habe er – noch – nicht gefunden.

Volker Beck beklagte vor allem die Ungleichbehandlung von deutschen Spätaussiedlern und jüdischen Einwanderern im Rentenrecht. Bei jüdischen Immigranten werden Arbeitszeiten rentenrechtlich nicht anerkannt, so dass oft Altersarmut und Sozialhilfe die Folge seien. Für Beck völlig unverständlich, da die sowjetischen Juden, vorwiegend Ashkenasim, wie die Russlanddeutschen deutsche Ursprünge hätten und auch bzw. gerade sie von einem Kriegsfolgenschicksal betroffen seien.

In dem von Lala Süsskind moderierten Gespräch ging es um weitere Aspekte des Themas: die Ablehnung der Jüdischen Gemeinden, viele ‚Russen‘, da ‚Vaterjuden‘, aufzunehmen. Um die Bedeutung des 9. Mai – Sieg im ‚Großen Vaterländischen Krieg‘ – als identitätsstiftendes Datum für sowjetische Juden. Um die Probleme der damaligen Jüdischen Gemeinden, zigtausende Neuankömmlinge einzugliedern – eine immense und einmalige Herausforderung, da eine kleine Minderheit eine große Mehrheit integrieren musste. Und um Antisemitismus heute, der allen Diskutanten Sorge bereitet und mit dem sich auch Gurzhy konfrontiert sieht.

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Ein vielschichtiges intensives Podiumsgespräch, das ein wichtiges Kapitel deutscher Wende- und Nachwendegeschichte sichtbar machte. Trotz Corona Bedingungen und eingeschränkter Teilnehmerzahl war es eine überaus informative und gelungene Veranstaltung. Sie wurde per Livestream übertragen und kann hier abgerufen werden.

Carola Deutsch

 

 

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