Zu "Ablenkungsstrategie" und "Säbelrasseln" im Tagesspiegel

Leserbrief von Jochen Feilcke auf den Kommentar „Das Säbelrasseln eines Staates in der Identitätskrise“ von Martin Gehlen im Tagesspiegel vom 22. August 2012

An die Chefredaktion des Tagesspiegel, Herrn Stephan-Andreas Casdorff

Berlin, den 22. August 2012

Sehr geehrter Herr Casdorff,

in der heutigen Ausgabe Ihrer Zeitung veröffentlichen Sie einen Beitrag von Dr. Martin Gehlen, den ich für polemisch und deshalb für entbehrlich halte. Bestärkt fühle ich mich dadurch, dass ein Kommentator im Internet den Artikel für geeignet hält, Günter Grass Absolution zu erteilen.

Interessant, dass die Überschrift im Internet lautet „Das Säbelrasseln eines Staates in der Identitätskrise“ während die Überschrift der Print Ausgabe „Ablenkungsstrategie“ heißt. Diese verbale Abrüstung hielten offenbar auch Sie für notwendig. In der Zwischenüberschrift der Internetausgabe heißt es dann, Netanjahu wolle von Problemen im eigenen Land ablenken. Die Probleme im Lande sind die existentielle Bedrohung seit Staatsgründung – wahrlich keine Petitesse!

Martin Gehlen beginnt mit einer absurden Polemik, indem er behauptet, in Israels Führung herrsche Kriegsrhetorik, kaum jemand rede von Frieden. Tatsache ist, dass in der Geschichte alle Friedenspläne und -angebote weggewischt wurden. „Die Palästinenser haben keine Gelegenheit ausgelassen, Gelegenheiten auszulassen”, sagte schon Abba Eban. Niemand wünscht sich Frieden mehr als die Israelis. Sie warten seit 64 Jahren darauf, endlich in sicheren Grenzen und im Frieden leben zu dürfen – ebenso wie Herr Dr. Gehlen.

Die Bedrohung und die Bedrohungsrhetorik von außen ist in Israel wahrlich kein neues Staatsthema, wie Dr. Gehlen behauptet, sie ist leider seit Staatsgründung beherrschendes Thema! Die Menschen sind nicht durch Netanjahu verängstigt sondern aus leidvoller Erfahrung. Sie nehmen Drohgebärden seit der Shoah ernst.

Es handelt sich nicht um ein Spiel auf dem Tennisplatz. „Teheran retourniert mit dem üblichen Tumor-Vergleich für Israel“ konstatiert Dr. Gehlen verharmlosend. Das ist wahrlich keine belanglose Rhetorik Teherans! Der „übliche Tumor-Vergleich“ ist unzivilisiert und nicht hinnehmbar.

Den Gipfel der Flapsigkeit sehe ich darin, dass Martin Gehlen der Demokratie des kleinen Israel die gleichen Gebrechen bescheinigt wie den angeblichen großen Demokratien als Folge des „Arabischen Frühlings“. Welch ein antizipierender Blödsinn! Wie schön wäre es, wenn auch nur eine einzige Demokratie im Nahen und Mittleren Osten kleine Gebrechen der Demokratie aufweisen würde!

Klar, dass zusammenfassend die Siedlungspolitik als Begründung für den Verriss Israels herhalten muss. Über Siedlungsbau kann und muss ganz sicher gestritten werden, jedoch handelt es sich nicht um eine Erfindung Netanjahus. Bereits kurz nach dem Sechs-Tage-Krieg begannen Siedler, sich in Orten, die für die jüdische Identität bedeutend sind, anzusiedeln – geduldet von Mosche Dajan.

Dr. Martin Gehlens Meinung lässt sich wohl so zusammenfassen: Netanjahu hat das Bedrohungsszenario erfunden und verängstigt seine Bevölkerung damit, um von innenpolitischen Problemen abzulenken. Deshalb will er den Nahen Osten mit Krieg überziehen. Kein handelnder Politiker Israels will den Ausgleich mit den Palästinensern. Der Iran ist keine Gefahr und Ahmadinedschads Rhetorik ist nicht ernst zu nehmen. Die wahren Demokratien hat der Arabische Frühling hervorgebracht.

Si tacuisses!

Mit freundlichem Gruß

Jochen Feilcke
Vorsitzender
Deutsch-Israelische Gesellschaft Berlin und Potsdam

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