Vermittler des Shalit-Deals: "Diplomatie bringt nichts, Entführungen schon."

Interview von Andreas Hackl

derStandard.at: Um den israelischen Soldaten Gilad Shalit frei zu bekommen, haben Sie seit mehr als fünf Jahren im Hintergrund vermittelt. Jetzt ist er frei. Wie haben Sie das geschafft?

Gershon Baskin: Alles begann drei Tage nach Shalits Entführung mit dem Anruf eines Professors von der Islamischen Universität in Gaza. Ich hatte vorher noch nie mit jemandem von der Hamas gesprochen. Auch für ihn war es die erste Unterhaltung mit einem Israeli. Nach einer längeren Unterhaltung habe ich ihm vorgeschlagen, eine kleine Verhandlungsgruppe für Gespräche hinter verschlossenen Türen zusammenzustellen. So ist ein ernsthafter Dialog zustande gekommen.

derStandard.at: Wie hat dieser Dialog genau ausgesehen?

Baskin: Ziemlich bald hat der Professor das Büro von Hamas-Premierminister Ismael Haniyeh kontaktiert. Schon nach einer Stunde kam ein Anruf des Hamas-Sprechers Ghazi Hamad. Wir haben uns länger unterhalten und ich habe ihm gesagt, dass ich einen offenen Gesprächskanal zur israelischen Regierung vermitteln will. Dem damaligen Premierminister Ehud Olmert habe ich über seine Tochter Dana Nachrichten zukommen lassen. Seine Antworten fielen aber eher kalt aus.

derStandard.at: Wie kam es trotzdem zum Durchbruch in den Verhandlungen?

Baskin Erst im Juli 2009 hat sich etwas bewegt, als ich ein Dokument vom Oberbefehlshaber der Hamas-Milizen, Ahmed Jabari, an Premierminister Netanyahu und Verteidigungsminister Barak weitergeleitet habe. Der zuständige Unterhändler David Meidan hat sofort verstanden, dass hier etwas Wichtiges im Gang ist. Einen wirklichen Durchbruch gab es dann am 14. Juli, als die Hamas in einem offiziellen Forderungspapier erstmals wichtige Kompromisse einging, indem sie fünf Top-Gefangene und einige Terroristen von der Liste strich, und zustimmte, dass viele außer Landes geflogen werden.

derStandard.at: Warum hat es mehr als fünf Jahre gedauert, bis eine Lösung gefunden wurde?

Baskin: Weil beide Seiten lange nicht bereit waren, die nötigen Kompromisse einzugehen. Und weil ein großes Misstrauen den Informationsfluss blockierte. Aber auch internationale Faktoren haben eine Rolle gespielt. Die Anti-Regime-Proteste in Syrien, die Bashar al-Assads Regierung schwächen, haben der Hamas eine wichtige Basis genommen. Und ein neues selbstbewusstes Ägypten konnte sein außenpolitisches Gewicht gegenüber der Hamas einsetzen.

derStandard.at: Sind ihre Erfolge durch Vermittlung im Hintergrund auch ein Zeichen für die Mängel der gewöhnlichen Diplomatie?

Baskin Ich denke schon. Konventionelle Diplomatie ist ein Ringen um Öffentlichkeit, Medien und Image. Da sind Kompromisse schwierig, weil das Bild nach außen ständig gewahrt werden muss. Für die Hamas ging es lange darum, aus Gründen der Widerstandssymbolik die schwersten Terroristen frei zu bekommen. Ich habe der Hamas gesagt, dass sie nichts bekommen wird, wenn sie weiterhin auf den großen Namen bestehen. Auf Regierungsebene wäre das als Angriff aufgefasst worden. Hier hat es einen Kompromiss bewirkt.

derStandard.at: Die Hamas hat für einen israelischen Soldaten 1027 Palästinenser frei bekommen. Ist das nicht ein Sieg für militante Extremisten, der weitere Gefahren mit sich bringt?

Baskin: Die israelische Regierung hat den Austausch auch deshalb unterstützt, weil sich der ganze Sicherheitsapparat als fähig genug erklärt hat, mit dieser Bedrohung fertig zu werden. Viele der Gefangenen wurden ja auch außer Landes geflogen. Die meisten anderen sind im Gazastreifen. Ich denke, dass die palästinensische Gesellschaft schon jahrelang nicht in der Stimmung für gewalttätigen Widerstand ist. Im Westjordanland bekämpft die palästinensische Polizei Terrorismus und im Gazastreifen hat die Hamas eine Waffenruhe über militante Milizen verhängt.

derStandard.at: Ist die plötzliche Einwilligung der israelischen Regierung auch Teil einer breiteren Strategie?

Baskin: Manche glauben, dass Netanyahu damit seine politische Position in Israel stärken will, nachdem die Sozialproteste gegen ihn mobilisiert haben. Aber ich weiß, dass er sich schon im April für die Aktion entschieden hat. Das war vor den Protesten. Eigentlich war er gegen das Abkommen. Dennoch hat er gewusst, dass es keinen anderen Weg gibt. Auch die ständigen Proteste vor seiner Haustür, in denen sich Gilads Familie gemeinsam mit Aktivisten ununterbrochen für Shalits Freilassung eingesetzt haben, dürfte ihn letztlich beeinflusst haben. Auch seine Frau hat dabei eine Rolle gespielt.

derStandard.at: Bei der Willkommensfeier für die freigelassenen Gefangenen wurden im Gazastreifen schon neue Entführungen gefordert. Wird es bald einen neuen Gilad Shalit geben?

Baskin Das kann natürlich passieren. Es gibt ja tausende palästinensische Gefangene, die noch zu befreien wären. Die aktuelle Entwicklung signalisiert leider klar und deutlich, dass Diplomatie nichts bringt, Entführungen von Soldaten hingegen schon. Aber ich sage den Palästinensern: War es das Wert, wenn man den letzten Krieg im Gazastreifen und all die toten Zivilisten mit kalkuliert? Für mich hat die Hamas der eigenen Gaza-Bevölkerung von 1,7 Millionen nichts als Zerstörung gebracht.

derStandard.at: Wären Gilad Shalit und die palästinensischen Gefangenen heute ohne Ihr Mitwirken frei?

Baskin: Nein, bestimmt nicht zu diesem Zeitpunkt. Ohne diesen Kanal hätte es keine Möglichkeit gegeben, diesen Durchbruch zu erreichen. Zwei Rabbis haben mir vor kurzem geschrieben, dass eine der größten Tugenden die Befreiung von Gefangenen ist. Das freut mich, obwohl ich nicht religiös bin.

derStandard.at: War Ihnen der Fall Gilad Shalit auch ein persönliches Anliegen?

Baskin: Ja, das war es. Aber ich wäre froh gewesen, wenn es eine militärische Lösung für seine Befreiung gegeben hätte. Aber das war nicht möglich. Also habe ich meine Erfahrung aus 25 Jahren Verhandlungsführung für diesen Deal eingesetzt. Leute auf beiden Seiten haben mir vertraut, das war der wichtigste Faktor von allen. (derStandard.at, 19.10.2011)

Hier finden Sie den Beitrag im STANDARD vom 19.10.2011.

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