Ulrich W. Sahm war am 15. Juni 2010 auf Einladung von DIG und Jüdischem Forum gegen Antisemitismus zu Gast im Centrum Judaicum

Ulrich W. Sahm mit Jochen Feilcke
Ulrich W. Sahm mit Jochen Feilcke

Unter dem Titel seines jüngsten Buches „Alltag in Israel“ kommentierte der seit Jahrzehnten in Israel lebende Journalist und Publizist Ulrich W. Sahm die aktuellen Ereignisse um die Kaperung der sog. Gaza-Friedensflottille durch die israelische Armee vor Gaza. Dabei stellte er das Ereignis in einen größeren Zusammenhang.

Bei der Flotille habe es sich im Grunde nicht um eine „humanitäre“, sondern um eine „reine Propaganda-Aktion“ gehandelt. Das habe sich schon daran gezeigt, dass das Angebot der Israelis, die Güter in Ashdod zu entladen und nach Gaza zu liefern, von den Organisatoren abgelehnt wurde. Noch offensichtlicher wurde dies, als die Hamas sich nach dem Entern des Schiffes vehement weigerte, die angeblich so nötigen Hilfsgüter hereinzulassen. In Wahrheit – so Sahm – gibt es keine „humanitäre Katastrophe“ in Gaza, auch weil inzwischen eine ganze „Mafia“ von der „Tunnel-Wirtschaft“ lebe. Auch kämen täglich zahlreiche LKWs mit Gütern von Israel nach Gaza. Ausgenommen seien selbstverständlich Güter von erheblicher Sicherheitsrelevanz, so auch Zement, mit dem die Hamas Bunker bauen könne. Ein erfreulicher Schritt der israelischen Regierung sei, dass es künftig keine Positiv-, sondern nur noch eine Negativliste geben solle, auf der nur die Produkte genannt werden, die nicht eingeführt werden dürfen.

Der Große Saal im Centrum Judaicum war brechend voll.
Der Große Saal im Centrum Judaicum war brechend voll.

Das jüngste Ereignis sollte aber nicht isoliert betrachtet werden, so Sahm. Die Rolle der Türkei bzw. Erdogans sei für die Analyse der Hintergründe von wichtiger Bedeutung. Es gebe Anzeichen dafür, dass Erdogan, der den Islamisierungsprozess in der Türkei vorangetrieben habe, diese wieder zur Führungsmacht in der Region machen wolle, so wie es einst für das Osmanische Reich galt. In der  islamischen Welt (die Türkei ist nicht arabisch) fehle heute eine starke Führungspersönlichkeit wie es einst Nasser, Sadat und auch Arafats waren.  Erdogan nutze dieses Vakuum, um sich zu profilieren und eine israelfeindliche Haltung qualifiziere ihn dafür besonders.  Schon im Januar 2009 konnte Erdogan bei den Arabern dadurch punkten, dass er in Davos öffentlich Shimon Peres wegen der Aktion „Gegossenes Blei“  angriff und diskreditierte. Seit dieser Zeit fällt Erdogan durch antiiisraelische Äußerungen und Aktionen auf. In immer mehr arabischen Staaten tauchten jetzt türkische Fahnen auf und werde Erdogan als Held gefeiert, so Ulrich Sahm.

Nachdem Israel und die Türkei seit vielen Jahren eine enge militärische Zusammenarbeit verbunden hatte – eine einzigartige Kooperation mit einem muslimischen Land –  scheint diese strategische Partnerschaft jetzt in Frage zu stehen. Sahm berichtete, dass sich die israelische Regierung vor Aufbruch der „Friedensflotille“ nach Gaza mit der Türkei darauf verständigt hätte, keine Islamisten an Bord zu lassen, was zumindest für die später zugestiegenen Passagiere kaum gelten könne. Im Gegenteil: Aus der Sicht von heute sieht es so aus, als habe die türkische Regierung hier ihr eigenes Süppchen kochen wollen, zumal sich auch türkische Söldner an Bord der „Mavi Marmaris“ befanden.

Die unterschiedlichen Fragen zeigten Zustimmung, aber auch Kritik.
Die unterschiedlichen Fragen zeigten Zustimmung, aber auch Kritik.

Zu besonderer Form fuhr Uli Sahm in der Diskussion auf. Den Sorgen der „Friedensbewegten“ um das Wohlergehen der Menschen in Gaza gegenüber zeigte er sich durchaus aufgeschlossen, doch sei Israel hier nicht der richtige Ansprechpartner. Mit der Freilassung von Gilad Shalit, einer Beendigung der Hasspropaganda und des Raketenbeschusses gegen Israel und der Anerkennung Israels hätte die Hamas lange dafür sorgen können, dass es den Bewohnern des Gazastreifens besser geht. Zudem befinde sich die Hamas seit 2007 mit der Fatah im Bruderkrieg, was zuallererst dafür gesorgt habe, dass es den Palästinensern heute schlecht geht, so der Referent.

Jochen Feilcke bei seinem Dank.
Jochen Feilcke bei seinem Dank.

Zum Abschuss eines sehr spannenden und anregenden Abends dankte der Vorsitzende der DIG Berlin und Potsdam, Jochen Feilcke, dem Referenten für die interessanten  Insider-Informationen und für sein Kommen. Den rund 300 Gästen, die an diesem Abend gekommen waren, wünschte er einen guten Heimweg.

Das Buch "Alltag in Israel" ging weg wie "warme Semmeln" und wurde gleich vom Autor signiert.
Das Buch "Alltag in Israel" ging weg wie "warme Semmeln" und wurde gleich vom Autor signiert.

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