Eine Reise ins Niemandsland

Eine Buchvorstellung und ein Autorengespräch mit Sarah Diehl über ihr Erstlingswerk „Eskimo Limon 9“ am 1. November in der Jüdischen Volkshochschule Berlin, in Kooperation mit der DIG Berlin und Potsdam

von Nikoline Hansen

Autorin Sarah Diehl
Autorin Sarah Diehl

Sarah Diehl, Jahrgang 1978, lebt als Filmemacherin und Publizistin in Berlin. Jetzt hat sie auch einen Roman veröffentlicht. Der Titel „Eskimo Limon 9“ dürfte dem deutschen Publikum in der Regel erst einmal nichts sagen. Und das ist ein Teil der Reise, auf den die Autorin den Leser mitnimmt: in das Niemandsland des lebendigen Judentums und damit ganz zwangsläufig auch nach Israel. Und von Israel zurück nach Deutschland – ein Trend, den es noch gar nicht so lange gibt.

„Eskimo Limon“ lief in Deutschland als sehr erfolgreiche Filmreihe unter dem Titel „Eis am Stiel“ – läutet da was? Sarah Diehl, in einem Dorf in der Nähe des Ortes aufgewachsen, in dem der Roman spielt, ist mit diesen Filmen groß geworden und hielt sie für eine italienische Produktion – bis sie eines Tages hörte, dass die Filme ursprünglich in Israel produziert worden waren und dort unter dem Titel liefen, der zum Namen des Buches wurde: Der Titel ist also auch Programm, und dieser rote Faden zieht sich durch das ganze Buch: die Abwesenheit von Juden in Deutschland. Die zugleich gemischt ist mit einer starken Präsenz deutscher Erinnerungskultur.

Sarah Diehl gelingt es durch geschickte Konstruktionen und einen lockeren, humorvollen Schreibstil, den Leser in ihre privaten und zugleich doch symptomatischen Gedankengänge eintauchen zu lassen. Sie setzen sich mit dem Spannungsverhältnis des Nichtvorhandenseins und des unterschwelligen Vorhandenseins dieses Nichtvorhandenseins in einer Art und Weise auseinander, die für eine großartige Beobachtungsgabe spricht und gepaart ist mit dem Talent, diese von ihr – wohl eher zufällig – recherchierte deutsche Befindlichkeit auf den Punkt zu bringen und in gut lesbarer Form ihrem Publikum zu präsentieren. So merkt man kaum, dass einem bei einigen dieser Beobachtungen doch eigentlich eher der Atem stocken sollte.

Immer noch ist nichts normal

Noch nichts ist normal in den deutsch-israelischen Beziehungen auch wenn inzwischen mehr als ein halbes Jahrhundert ins Land gegangen ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Es gibt, wie Sarah Diehl treffend feststellt, eine Diskrepanz zwischen der Gedenkkultur und der Begegnung mit Menschen. Der Herausforderung, dies in Romanform zu dokumentieren, hat sich die Autorin erfolgreich gestellt. Ihre Informationen über Israel, das sie selbst mehrmals bereiste, stammen in der Hauptsache aus den komplexen Diskussionen, die sie bei Israelis untereinander erlebte und die sie erstaunlich stringent erzählt; das mag wohl daran liegen, dass sie ihrem grundlegenden Anliegen, der Untersuchung des Rechts auf Selbstbestimmung insbesondere von Frauen, treu bleibt und sich mit Ziggy eine Protagonistin gewählt hat, die auch auf der Suche nach ihrer Identität und ihrem Lebenstraum ist. Hierum rankt sich dann auch die Geschichte mit gelegentlich durchaus grotesk wirkenden Episoden.

Das ruhige Leben in dem Dorf kommt dabei gerade Recht – oder ist doch eher ein literarischer Schachzug, um die vollen Register vom Umgang der Deutschen mit den Juden ziehen zu können, die sich aus ihren eigenen Erlebnissen und Erfahrungen speisen – wobei sie sich mit großer Sensibilität in die jüdische (beziehungsweise israelische) Sichtweise eingefühlt hat. Wie Sarah Diehl im Gespräch mit Shelly Kupferberg, die durch den Abend führte, gestand: In gewisser Hinsicht ist der Roman auch ein persönliches Tagebuch, indem sie sich ihren Figuren über mehr als sieben Jahre hinweg immer weiter annäherte.

Dem ersten Kapitel vorangestellt ist ein Zitat von Raul Hilberg: „Ich vermied es, die großen Fragen zu stellen, da ich ahnte, nur kleine Antworten bekommen zu können.“ In der Tat stellt Sarah Diehl keine Fragen sondern sie beschreibt ihre Beobachtungen. Offen, ehrlich, mit einem Schuss Selbstironie und sicher auch einem inzwischen ausreichenden Abstand von der Dorfwelt, die sie so kenntnisreich skizziert. Ein gelungenes Debüt, ein interessanter Abend und ein Buch, das ausgesprochen informativ und lesenswert ist.

Sarah Diehl 2012Sarah Diehl: Eskimo Limon 9

Zürich (Atrium Verlag) 2012, 320 Seiten, 19,95 Euro

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