"Jung und verliebt in Israel?" Am 27. Mai war die israelische Autorin Nava Semel zu Gast bei DIG und ConAct

v.l.: Dr. Alexandra Nocke, Nava Semel und Christine Mähler, Leiterin von ConActDer Abend im Centrum Judaicum war dem Thema Jung und verliebt in Israel? Über die erste Liebe und den Alltag junger Menschen in Israel gewidmet, und bot dem Publikum die Möglichkeit, die israelische Autorin Nava Semel und deren Werk kennenzulernen.

Nava Semel (*1954 in Tel Aviv) hat Gedichte, Theaterstücke, Romane, Kurzgeschichten und Kinderbücher veröffentlicht, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Gerade ist ihr neues Buch („Liebe für Anfänger“) beim Verlag Stuart & Jacoby auf Deutsch erscheinen, aus dem die Schauspielerin und Drehbuchautorin Silja Clemens einige Passagen vorgetragen hat. „Liebe für Anfänger“ beinhaltet sieben kurze Geschichten über die erste grosse Liebe und bietet Einblicke in die komplexe Gefühlswelt Jungverliebter in Israel. Sich in einer verwirrenden Welt zurechtzufinden ist Thema der jungen Protagonisten in diesem Buch.

In Nava Semels Familie manifestieren sich biographische Extreme: Mimi Artzi, Navas Mutter,  wurde Anfang Mai 1945 von den Alliierten aus dem Konzentrationslager Kleine-Schönau befreit. Sie gelangte zusammen mit ihrem Mann, dem Widerstandskämpfer Itzchak Artzi, nach Palästina. Nava Semels Eltern haben den Aufbau des Staates Israel mitgeprägt, ihr Vater war sein ganzes Leben lang Zionist und saß als Abgeordneter in der Knesset.

Nava Semels Werk kann formal der Literatur der sog. „zweiten Generation“ zugeordnet werden. Dieses literarische Genre bezeichnet Werke von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, deren Eltern die Shoah überlebt haben. Die Autoren haben die schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe, den so lange verschwiegenen Erlebnissen und Geheimnissen ihrer Eltern eine Stimme zu geben und zwischen den Erlebnissen in der „neuen“ und der „alten“ Welt, Israel und der Diaspora, zu vermitteln. Ihre insistierenden Fragen brachten die lange verschwiegenen Geheimnisse der Eltern ans Tageslicht. 1985 wurde auf Hebräisch Nava Semels Buch Kova Zechuchit (dt.: Glashut) veröffentlicht (es wurde im Jahr 2000 in Deutschland unter dem Titel Gläserne Facetten veröffentlicht). Es ist ihren Eltern gewidmet: „Für meine Mutter, die überlebte, für meinen Vater, der ihr beistand.“ Es ist der erste Roman überhaupt, der das Thema der sogenannten „zweiten Generation“ aufgreift. Darin beschreibt Nava Semel die psychologische Bürde, die sie und ihre Generation zu tragen haben. Für diese Last findest Nava Semel ein Bild, das in ihrem Werk immer wieder auftaucht: die Haube aus Glas (Kova Zechuchit) – sie schottet ab, bleibt aber transparent. In Navas Werk geht es auch immer um den Konflikt zwischen dem „dort“ und dem „hier“, und den Problemen die entstehen, wenn man die Vergangenheit mit der Gegenwart verbindet und Erinnerung in die Zukunft trägt.

Nava Semels Werk entzieht sich festen Kategorisierungen: sie ist virtuos und experimentierfreudig, bewegt sich zwischen den verschiedenen Genres der modernen israelischen Literatur hin und her, überrascht mit literarischen Abenteuern. Auch ihr neues Buch bietet, wie sie im Gespräch erläutert, nicht das idealisierte Bild der „ersten Liebe“. Unkonventionell erzählt sie von Geheimnissen, vom Schweigen und Verschweigen und eröffnet ihren Lesern so neue Perspektiven auf den israelischen Alltag durch sechs Jahrzehnte hinweg.

Im Gespräch mit Dr. Alexandra Nocke schilderte die Autorin eindruckvoll ihre Sicht auf das Alltagsleben in Israel im Spannungsfeld von Vergangenheit und Zukunft. Dabei ging es u.a. um die Verbindung der ersten Generation (Navas Mutter) und der dritten Generation (Navas Kinder), die Frage nach der in die Gegenwart hineinwirkenden Vergangenheit und die Erfahrungen vom Navas Kindern in der Armee.

Nava Semel schildert, dass die Armee eine der wichtigsten identitätstiftenden Erfahrungen im Leben junger Israelis ist. Der Militärdienst gehört zum Alltagsleben in Israel – Zivilgesellschaft und Armee sind eng miteinander verknüpft. Die allgemeine Wehrpflicht in Israel dauert für Männer 36, für Frauen 24 Monate. Wer wehrpflichtig und tauglich ist wird in der Regel mit 18 Jahren eingezogen. Im Gespräch wurde die Frage diskutiert, welche Rolle das Militär im Alltag junger Menschen in Israel heute spielt. Nava Semel berichtet eindruckvolle aus der Sicht einer Mutter, deren Zwillinge derzeit den Armeedienst absolvieren. Sie berichtet auch über ihren ältesten Sohn, der sich – wie viele seiner Altersgenossen auch – nach seinem Armeedienst entschlossen hat ins Ausland (Indien, Südamerika, Australien) zu reisen oder dort zu studieren, um in einer ruhigen, friedvollen Atmosphäre Abstand von der alltäglichen Bedrohung Israels zu bekommen.

Abschließend schildert Nava Semel mit großem Enthusiasmus die Bedeutung, die das Leben in Israel – trotz aller Einschränkungen – hat: für sie ist der israelische Alltag Inspiration und ständige Herausforderung und bietet immer neuen Stoff für ihre Geschichten und Romane.

Dr. Alexandra Nocke

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