Bericht: Matthias Küntzel „Judenhass im Nahen Osten“

„Die Nazis haben den Judenhass in den Nahen Osten gebracht“

Massaker an Juden – damit meinten wir bisher immer die Vergangenheit. Doch seit dem 7. Oktober ist dies wieder Gegenwart. Oder waren Muslime schon immer mordende Antisemiten? Sicher – Antijudaismus gab es im Islam immer schon. Doch eines werde leider oft übersehen, so betont der der Historiker und Politikwissenschaftler Matthias Küntzel: die Nazis haben ihren Judenhass vor allem seit den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts gezielt und konsequent in der arabischen Region verankert.

Über das Thema „Nazis und der Nahe Osten – Wie der islamische Antisemitismus entstand“ referierte Dr. Matthias Küntzel am 6. Dezember 2023 im Jüdischen Gemeindehaus in der Fasanenstraße in Berlin. Ziel des Anschlags vom 7. Oktober sei es gewesen, Juden zu töten. Gemessen an der Bevölkerungszahl bedeuten 1200 getötete Juden so viel wie zehntausend Deutsche. Dennoch sei heute vorherrschende Meinung: der Staat Israel ist das Problem – und der Hass auf die Juden die „natürliche“ Antwort darauf. Doch dieser Hass sei eine Verwechslung von Ursache und Wirkung. Mit dem Resultat eines „Erlösungs-Antisemitismus“. Wie also kam der Judenhass zu den Hamas? Wieso zitiert die Hamas gerne die Propagandaschrift „Protokolle der Weisen von Zion“, beschuldigt die Juden, den Ersten und Zweiten Weltkrieg angezettelt zu haben?

Selbst Gutmeinende, so betont Diskussionsleiterin Maya Zehden, würden heute durch den ständigen Blick auf die Menschen in Gaza beeinflusst, durch Medienberichte und PR-Mitteilungen, auch von denen der UN/UNWRA. Übersehen werde immer wieder, dass es dort palästinensische „Flüchtlinge“ in zweiter und dritter Generation gebe, dass Gaza seit 15 Jahren nicht mehr von Israel besetzt ist, die UN dort zum Beispiel keine Vorräte für Zivilisten angelegt habe.

„Der Terroranschlag auf die Juden hat den Hass verstärkt, aber kein Mitleid erzeugt“, kommentiert Matthias Küntzel, früher Bundestagsabgeordneter der Grünen. Und berichtet von Demo-Plakaten in London: die „zionistische Schlange“ verschlinge die Erde und der israelische Ministerpräsident trinke „palästinensisches Blut“. „Der historische Antisemitismus ist Gegenwart geworden.“ Matthias Küntzel beschreibt fünf historische Schritte bzw. Etappen, mit denen der Judenhass in die arabische Welt und zur Hamas transportiert wurde.

1937. Noch in „Mein Kampf“ hatte Hitler sich rassistisch gegen Araber gewandt. Doch 1937 planten die Briten, ihr Mandatsgebiet in einen arabischen und einen jüdischen Staat zu teilen. Palästina hatte damals 20 Prozent Juden. In der arabischen Welt herrschte ein latenter Antijudaismus und es gab das Gefühl der Überlegenheit gegenüber Christen und Juden. Doch: „Viele Araber waren für die Teilung.“ Daher begann Deutschland ab 1937 „eine aktive Nahost-Politik mit dem Ziel, diesen jüdischen Staat, den man als eine Art jüdischen Vatikan befürchtet hatte, zu verhindern.“ In Kairo erschien 1937 die Nazi-Broschüre „Islam und Judentum“. Die Nazis arbeiteten von nun an mit der 1928 gegründeten Muslimbruderschaft und dem Mufti von Jerusalem, Mohammad Amin al-Husseini, zusammen.

1938. Vertreter der Muslimbruderschaft und Joseph Goebbels treffen sich mehrfach. Berlin überweist von jetzt an höhere Geldsummen an die Bruderschaft. Die Beziehungen zum Mufti von Jerusalem werden ausgebaut.

1939-1945. Sechs Jahre lang betreibt der “Weltrundfunksender Zeesen“ im Süden Berlins antisemitische Dauerpropaganda für die Bevölkerung arabischer Länder. Hauptbotschaft der arabischsprachigen Kurzwellen-Sendungen: Das Weltjudentum wolle im Krieg den gesamten Islam vernichten. Jeder gute Muslim müsse sich zusammen mit den Deutschen wehren. So wollte man die analphabetische Masse auf öffentlichen Plätzen erreichen. Man richtete sogar Geheimsender ein, die so taten, als seien sie Untergrundsender in Ägypten. Aber gesendet wurde aus Berlin. Zwar hatte auch Mussolini Radios an arabische Cafés verschenkt, doch es gab nur einen Sender, der das faschistische Italien pries. Auch die Briten sendeten in arabischer Sprache. Aber sie wollten, so Küntzel, auf keinen Fall als Freunde der Juden auftreten und damit den Antisemitismus der Nazis „bestätigen“.
Beim Sender Zeesen habe es „deutsche Besonderheiten“ gegeben: Perfekte Hörqualität und prominente Sprecher, wie den Iraker Younis Bahri. „Er brüllte und drohte wie Hitler“. Dazu ein derber, volkstümlicher Antisemitismus. Die UN sei eine „vereinte jüdische Nation“. Die Zuhörer wurden vom Sender Zeesen als Muslime angesprochen und nicht als Araber. „Es war eine antijüdische Hetze, wie man sie vorher nicht kannte. Dauerbeschallung, Zensur, völkermörderische Rhetorik.“

1946-1948. Das Echo des Senders in Zeesen wirke im Nahen Osten bis heute nach. Die hohe Mitgliederzahl der Muslim-Bruderschaft von ca. einer Million lege dafür Zeugnis ab. Als die UN 1947 die Zwei-Staaten-Lösung vorschlug, unterstützten die USA und die UdSSR dies. Die arabischen Staaten sabotierten sie. Auch wenn die meisten arabischen Führer dennoch nicht unbedingt für einen Krieg waren, unterstützten sie ihn letztlich mit Geld. Wohl auch, weil sie Angst vor dem Druck durch die Straße hatten. „Die antisemitische Straße war stärker.“

Das Fazit: Die Nahost-Geschichte war und ist bis heute von der Nazi-Propaganda geprägt. Die Hamas seien zwar keine Nazis. Aber eine einheitliche Linie sei gut zu erkennen. Es gebe Schnittmengen zwischen dem früher angestrebten „deutschen Frieden“ und dem „islamischen Frieden“. Wir Europäer, so Matthias Küntzel, könnten uns nicht vorstellen, welche immense Bedeutung die Religion für die arabische Welt hat. Die Hamas wolle „die Juden ausrotten“. Sie habe niemals Interesse an einer Verbesserung der Lebensbedingungen in Gaza gehabt. Am 7. Oktober wollte die Hamas die „Welt als Zuschauer“. Jeder sollte dieses „Modell für die Befreiung“ sehen können. Doch wir hier müssen uns fragen: Warum spielt die Verbindung von Islam und Nazis im Diskurs bei uns überhaupt keine Rolle? Küntzel: „Nun, die Juden sind immer selbst schuld – das ist eben Antisemitismus …“. Wie wird es weitergehen? Mit einer Zwei-Staaten-Lösung wohl kaum. Eine konkrete Antwort habe niemand, so Küntzel. So unterstützen im Westjordanland laut einer Umfrage 75 Prozent der Palästinenser das Massaker vom 7. Oktober.

Was können wir tun? Diese Frage stellte auch das Publikum in der anschließenden Diskussion. Gefragt wurde, wieso sich in der arabischen Region so wenig Fortschritt zeige. Zum Beispiel gebe es dort keine Nobelpreise, außer in der Literatur. Warum habe sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Bedeutung der Religion wieder verstärkt? Und warum nehmen wir das nicht ausreichend wahr?

Ein Lehrer berichtet, er habe das Wort „Judensau“ in der Schule gehört. Ihm sei dabei „ganz mulmig“ geworden. Wie kann man Antisemitismus verhindern? Eine Antwort: die Lehrer-Ausbildung muss geändert werden. Heutige Lehrer stammen oft noch aus der 68er-Generation, damals sei „Israel-Kritik“ üblich gewesen. Matthias Küntzel verweist auf das positive Beispiel Rumänien. Dort muss aufgrund eines Parlamentsbeschlusses in den 7. Bis 9. Klassen über die Geschichte der Juden unterrichtet werden. Hoffnung mache, dass es auch auf der arabischen Seite unterschiedliche Meinungen gebe. Statt „die Palästinenser“ zu sagen, solle man Menschen suchen, die Verständigung wollen. Positiv sei, dass heute zwei Millionen Araber mit Bürgerrechten in Israel lebten. „Die Abraham Accords müssten wieder aufleben. Doch wie?“ Israel dürfe nicht als „Vorposten des Westens“ wahrgenommen werden. „Denn es geht im Nahen Osten nicht um Kolonialismus. Auslöser für den aktuellen Krieg ist nur der Antisemitismus.“ Vielleicht, so meint Matthias Küntzel, werde Frieden nur möglich, wenn heutige Judenhasser sich die berühmten Worte einer Holocaust-Überlebenden aneigneten: „Sag nicht Krieg – sag Lebenskampf!“

Gudrun Küsel

Matthias Küntzel: Nazis und der Nahe Osten. Wie der islamische Antisemitismus entstand. 264 Seiten, Hentrich und Hentrich Berlin Leipzig, 19,90 €.

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