Arye Sharuz Shalicar war am 28. Oktobter 2010 zu Gast im Jüdischen Gemeindehaus

Arye Sharuz Shalicar
Arye Sharuz Shalicar

Am 28. Oktober 2010 luden Jüdische Volkshochschule Berlin und DIG Berlin und Potsdam zu einem Autorengespräch mit anschließender Diskussion in die Fasanenstraße ein. Anlass war das jüngst erschienene Buch von Arye Sharuz Shalicar Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude„. Angesichts der aktuellen Diskussion des Buches in den Medien erwies sich das Timing als absoluter Glücksfall. Der Rückblick von Shalicar auf sein Leben im Wedding liest sich wie ein Beleg des Buches der Jugendrichterin Kirsten Heisig und bezeugt auch, dass Thilo Sarrazin mit seinem Buch bei aller berechtigten Kritik ins Schwarze getroffen hat.

Sigalit Meidler-Waks, Leiterin der Jüdischen Volkshochschule, und Jochen Feilcke, Vorsitzender der DIG Berlin und Potsdam, freuten sich, im Jüdischen Gemeindehaus mehr als 200 Gäste begrüßen zu können. So viel Zuspruch war selten. Die Romanistin und Rundfunkjournalistin Sigrid Brinkmann moderierte – nicht das erste Mal bei der Jüdischen Volkshochschule – das Autorengespräch und leitete im Anschluss die Diskussion.

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Aryes Familie kam aus dem Iran. Er wuchs in Berlin auf und interessierte sich ursprünglich überhaupt nicht für seine Herkunft. Auch regelmäßige Besuche bei Verwandten in Israel änderten daran nichts. Erst mit dem Umzug der Familie von Spandau in den durch muslimische Zuwanderer geprägten Berliner Stadtteil Wedding ändert sich alles. Hass auf Israel und die Juden sind von nun an die Regel.  Als Arye erfährt, dass er Jude ist, wird er zur Zielscheibe dieses Hasses. Da ist er kaum 15 Jahre alt. Bisher von den Freunden für einen Moslem gehalten, beginnt er, sich mit seiner jüdischen Herkunft auseinanderzusetzen und erfährt von den Eltern, welchen Verfolgungen Juden im Iran ausgesetzt waren, wo »ein nasser Hund« besser war »als ein trockener Jude«. Sein Vater prophezeit ihm, dass man ihn auch hier als Jude hassen werde. Er warnt ihn, den  Davidstern nicht überall sichtbar zu tragen. Das Gefühl der Nichtzugehörigkeit wächst. Schließlich wandert Arye nach Israel aus, wo er ein anderes Leben führen will: ein Leben der Zugehörigkeit, ein Leben ohne schiefe Blicke, ein Leben als Jude.

Arye Sharuz Shalicar wurde 1977 in Göttingen geboren und wuchs in Berlin auf. Nach Beginn eines Studiums der Politikwissenschaften, Jüdische Studien und Islam wandert er 2001 nach Israel aus und studiert Internationale Beziehungen, Nahostgeschichte, Politik und European Studies. Shalicar arbeitet für The Jewish Agency for Israel, hat beste Kontakte zum ARD-Nahost Studio in Tel Aviv, ist Armeesprecher und seit kurzem Vorsitzender der Organisation NOAM (Organisation junger deutschsprachiger Einwanderer in Israel).

Die Diskussion im Anschluss an Gespräch und Lesung verlief ausgesprochen lebendig, zumal auch ehemalige Lehrer des Diesterweg-Gymnasiums gekommen waren. Der eine fühlte sich aufgefordert, daran zu erinnern, dass Arye damals „wirklich der schwierigste Schüler“ gewesen und das Lehrerkollegium darum bemüht gewesen sei, sich um jeden einzelnen Schüler zu kümmern, eine Kollegin fragte den Autor, ob er bereit sei, zu einem Gespräch an die Schule zu kommen, was Arye gerne zusagte. Schließlich hätten ihm zahlreiche Lehrer versichert, es sei „ein absolutes Muß“  ihn – ähnlich wie jüdische Zeitzeugen der NS-Zeit – an Berliner Schulen einzuladen und etwas über seine Erfahrungen zu hören.

Nach Erscheinen des Buches von Shalicar erkennen auch die Eltern schockiert, dass ihr Sohn vieles von ihnen fern gehalten hat. Sie leben bis heute in Deutschland, haben ihn aber mehrfach in Israel besucht. Sein sechs Jahre jüngerer Bruder ist Arye nach ähnlichen Erfahrungen in Berlin inzwischen nach Israel gefolgt, seine Schwester lebt in Paris. Ein „Stachel im Fleisch“ sei für ihn immer noch die ungeklärte Beziehung zu Janica, seiner kroatischen Freundin, die in schwierigen Zeiten immer zu ihm gehalten hat. Dennoch mußte er sie und seine Eltern am Ende verlassen. Immerhin wisse er, dass Janica heute erfolgreich als Ärztin arbeite und seit sechs Jahren einen festen Freund habe. Es gehe ihr gut, das sei für ihn das Allerwichtigste. Er selbst ist seit einem Jahr mit einer Israelin aus Russland verheiratet und sehr glücklich.

Bemerkenswert, wie sehr Arye trotz schlechter Erfahrungen zu differenzieren versteht. Er wehrt sich dagegen, Kritik nur an den jugendlichen Migranten und ihren Familien zu üben, schließlich habe keine von ihnen die angestammte Heimat ohne Not verlassen. Auch hätten ihm alte Freunde am Ende doch beigestanden und die meisten Freundschaften bestünden bis heute in Berlin. Sollte sein Buch eines Tages zur „Pflichtlektüre“ an deutschen Schulen werden, was für ihn „eine Ehre wäre“, werde er alles dafür tun, um jungen Migranten, die oft selbst Diskriminierung und Druck ausgesetzt seien, ihren Hass auf Juden und Andersgläubige zu nehmen und ihnen zu mehr Selbstbewußtsein zu verhelfen.

Ein wirklich ganz besonderer Abend. Wir wünschen Arye für seinen weiteren Lebensweg alles Gute.

Bericht und Fotos von Meggie Jahn


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