Wolf Biermann trat am 2. November 2008 beim 12. Rabin-Gedenk- und 32. Benefizkonzert der DIG Berlin im Großen Sendesaal des RBB auf

Wolf Biermann im Großen Sendesaal des RBB, bekannt als Berliner Aufführungsort mit der besten Akkustik, was sich auch 2008 wieder bestätigte.
Wolf Biermann am 02.11.08 im Großen Sendesaal des RBB.

Im 60. Jahr der Staatsgründung Israels präsentierte die DIG Berlin und Potsdam mit dem Liedermacher Wolf Biermann einen außergewöhnlichen Künstler. Anlass war der 13. Jahrestag der Ermordung von Yitzhak Rabin, dessen Einsatz für einen Friedenskompromiß mit den Palästinensern ihn 1995 das Leben kostete. Jochen Feilcke, Vorsitzender der DIG Berlin und Potsdam, ging in seinem Grußwort vor rund 500 Gästen im Großen Sendesaal des RBB darauf ein und erinnerte zugleich an unser großes Israelfest auf dem Gendarmenmarkt am 8. Mai 2008. Am gleichen Tag wurde auch in Israel die Staatsgründung gefeiert. Auch der israelische Botschafter, S.E. Yoram Ben Zeev, gedachte des von einem jüdischen Fanatiker ermordeten israelischen Ministerpräsidenten, der für eine Mehrheit der israelischen Bevölkerung Hoffnung auf Frieden symbolisiert hatte.

Wenige Monate zuvor – am 6. März 2008 – hatte Wolf Biermann von der DIG Hannover den Theodor Lessing Preis für aufklärerisches Denken und Handeln erhalten, um nur einen der vielen Preise und Ehrungen zu nennen, die dem Musiker zuteil wurden, darunter auch der angesehene Georg-Büchner- und Heinrich-Heine-Preis. Seit 2007 ist Wolf Biermann Ehrenbürger Berlins. Wenige Tage nach seinem Auftritt beim RBB sollte ihm die Ehrendoktorwürde der Humboldt-Universität überreicht werden, u.a. als späte Wiedergutmachung für sein zu DDR-Zeiten verweigertes Philosophie-Diplom.

Rückblende:

Schon Anfang der 90er Jahre – also gleich nach der Wende – hatte sich der ehemalige DDR-Bürgerechtler und Liedermacher Wolf Biermann dezidiert gegen linke und friedensbewegte Fehldeutungen des Nahost-Konflikts ausgesprochen. Der Golf-Krieg hätte verhindert werden können, so Biermann damals, wenn Deutschland und Frankreich sich noch vor dem US-Angriff an der Koalition des Westens gegen Saddam Hussein beteiligt hätten. Sein Plädoyer für den Krieg am Golf – unter anderem in der Wochenzeitung DIE ZEIT – begründete er mit der Gefahr, die der irakische Diktator – für Biermann ein “gestandener Massenmörder” – für Israel bedeutete: Die Ausrottung war den Juden sowohl von Hitler als auch von Saddam Hussein offen angekündigt worden. Er verwies damals auch auf das Münchener Abkommen von 1938, in dem die Westmächte vor Hitler zurück gewichen waren. Die Quintessenz seiner Wortmeldung fasste er in der rhetorischen Frage zusammen: “Soll man einen Hitler machen lassen um des Friedens willen?” Diese und ähnliche Argumente spielten auch in den politischen Debatten der Folgejahre eine Rolle und tun dies bis heute. Sein klares Bekenntnis zu Israel brachte Biermann eine erste Einladung nach Israel ein.

Bekannt wurde Biermann zudem durch seine Übertragungen von Shakespeare-Sonetten sowie durch die von Arno Lustiger angeregte Nachdichtung des in jiiddisch verfaßten Poems „Großer Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk“ des großen russischen Dichters Yitzhak Katzenelson. Entstanden war es im Warschauer Ghetto; nach dem Krieg wurde es von zwei Frauen ins damalige Palästina gerettet. Auf Wunsch von Benny Katzenelson, dem Neffen des in Auschwitz ermordeten Dichters, trug Biermann das Gedicht später in dem israelischen Kibbutz Shefayim vor, obwohl die Familie kein Wort Deutsch konnte – ein Erlebnis, das ihn offenbar tief berührt hatte.

Zurück zur Bühne im Großen Sendesaal des RBB:

Ehe Biermann zur Gitarre bzw. in die Klaviatur des Flügels griff, hatte er ein von ihm handgeschriebenes und -bemaltes Programm verteilen lassen. Sein Konzert bot eine grandiose und beeindruckende Würdigung der versinkenden Welt der Jeckes in Israel. Viele dieser Menschen hatte er selbst getroffen, darunter auch „rheinische Frohnaturen“, die bei ihrer Ankunft im damaligen Palästina „statt der russischen Blusen Jacken trugen“. Damit traf er besonders diejenigen ins Herz, die in den letzten Jahren den schmerzlichen Verlust von Freunden und unvergesslichen Zeugen der Jahrhundertkatastrophe des 20. Jahrhunderts zu beklagen haben.

Da war das Lied von „Jan Gat unterm Himmel in Rotterdam“, der die englischen Bomben wie Himmelsgeschenke hinnahm, nachdem ihn die Deutschen mit dem gelben Stern als Juden gebrandmarkt hatten: „Wo vorher sein Herz war, klafft jetzt ein Riesenloch.“ Täuschend echt auch der von Biermann intonierte Fliegeralarm und schreiende Möwenschwarm – vielleicht weil der Künstler selbst in Hamburg die Bombardierung er- und überlebt hatte. Da war die Geschichte vom „Heimweh“ des Kommunisten und Jakobinerforschers Walter Grab, den der israelische Botschafter nicht mehr kennen lernen durfte. Da war der alte Berliner in der Tel Aviver Jordanstraße, der im „Kanton Iwrit“ ein neues Zuhause fand, und doch wie „Falschgeld im Morgenland“ war: In tiefstem Berlinerisch erzählte ihm dieser, wie er „aus’m Kiez in Berlin-Moabit zum Berg Moab“ gekommen war und man ihn wie alle Jeckes mit den Worten empfangen hatte: „Kommst Du aus Zionismus oder aus Deutschland?“ Darunter auch sein Freund Natan Zach, heute ein bekannter hebräischer Dichter: „Ich hatte wohl mein Berlin verloren, aber nicht die Berliner Schnauze“. Und was fand sich im Gepäck der jüdischen Emigranten aus dem deutschsprachigen Raum? Eine Zahnbürste, deutsche Klassiker und Heines „Buch der Lieder“: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin …?“

Der Liedermacher versäumte auch nicht, mit der Erwähnung des in Warschau geborenen und 1924 nach Israel eingewanderten jiddischen Dichters Joseph Papiernikow auf die Ignoranz der „neuen Hebräer“ gegenüber dem Jiddischen – der „Sprache der Diaspora“ hinzuweisen. Ironischer Weise gilt Papiernikow heute als „Begründer der israelischen jiddischen Literatur“. Auch ließ Biermann sich nicht nehmen, auf die späte Anerkennung von Heinrich Heine, der „viel deutscher als alle Deutschen und viel jüdischer als manche Juden“ gewesen sei, anzuspielen: „Es hat sehr lange gedauert, bis sie ihm verziehen, was er für sie getan hat …“

Adornos Zweifeln zum Trotz, so Biermann, gab und gibt es auch nach Auschwitz noch Gedichte, ja lustige Lieder: „Wir gehen ganz und gar zugrunde und erheben uns wieder“, so der Tenor eines jiddischen Cabaret-Liedes aus dem Ghetto Wilna „Wir lebn ejbig! Mir seyen do!“ und so gingen die Juden in den Tod. Biermann erzählte und sang von dem Wiener Kabarettisten Karl Farkas, Schöpfer des bekannten Liedes „Wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt“ – beliebter Schlager unserer Eltern und Großeltern, er erzählte und sang von Walter Benjamin, der nach dem Verlust der deutschen (Sprach-)Heimat und der Gefahr, von den Spaniern an die Pétain-Franzosen und schließlich an die Gestapo ausgeliefert zu werden, in Port Bou seinem Leben ein Ende setzte.

Biermann brillierte durch faszinierende Bühnenpräsenz und musikalische Virtuosität. Zugleich erwies er sich ein weiteres Mal als wunderbarer Poet. Heinrich Heine zog sich wie ein Leitfaden durch den Abend; musikalisch klang mehrfach die „Hatikvah“ an – Symbol der staatlichen Unabhängigkeit der Juden und der Hoffnung auf Frieden mit den arabischen Nachbarn.

Mit Bezug zu dem anhaltenden Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern erklärte Biermann, es bringe nichts, den Juden Ratschläge zu geben, „weil es geschichtliche Konflikte gibt, die tiefer sind und eine Lösung vielleicht unmöglich ist“. Die Geschichte von Ismail und Isaak – beide Söhne von Abraham,- sei wohl eine Geschichte dieser Art. Das vermöge zwar nicht zu trösten, doch man müsse es wissen. Patentrezepte habe er keine anzubieten und rate auch anderen dringend davon ab.

Vor dem Konzert im 60. Jahr der Staatsgründung Israels hatte die Berliner Morgenpost Biermann gefragt, warum er dieses „Um meinetwillen: Israel“ überschrieben habe. Seine Antwort: „Ich habe ein Sonett geschrieben mit diesem Titel. So fängt es an: ‚Ach was, doch nicht um Himmels willen, nein: Um meinetwill’n gibts Israel, den Staat!“ – so gefällt es meinem Herzen. Denn wenn ich für Israel bin, dann nicht nur, weil ich dort viele Freunde habe und mich um die Juden kümmere oder bekümmere, sondern aus existenziellem Eigeninteresse. Ich war nie einer von den chronischen Gutmenschen, die sich immerzu nur „engagieren“. Und so heißt es im Sonett: „Damit auch Schlosser Dago Biermann (Biermanns in Auschwitz ermordeter Vater) weiss, wo er nach Auschwitz noch ’ne Bleibe hat…“ Mehr ….

Quintessenz und Lehre dieses beeindruckenden Abends war: Hätte es in den 30er, spätestens 40er Jahren des 20. Jahrhunderts schon einen Staat für die Juden gegeben, hätte nicht nur Biermanns Vater überlebt, die Shoah wäre unmöglich gewesen und damit auch millionenfaches Leid, das bis heute nachwirkt. „Die Ermordeten meiner Hamburger Judenfamilie, 1941 in Minsk in die Grube geschossen, 1943 in Auschwitz vergast, sie alle haben ihr Toten-Heim in Israel gefunden – in Erez Israel, wo die Juden um ihr Überleben kämpfen, in einem heillosen Krieg, den sie nie gewinnen können und den sie nie verlieren dürfen.“ Darum muss Israel leben und gedeihen – hierfür streiten wir gemeinsam mit Wolf Biermann.

Statt einer musikalischen Zugabe gab’s fürs Publikum eine weitere Geschichte. Provoziert dazu hatte Biermann das freundliche Angebot des DIG-Vorsitzenden, unserer Gesellschaft als Ehrenmitglied beizutreten. Das Angebot zum Beitritt hielt er für prüfenswert, die Ehrenmitgliedschaft aber lehnte er rundweg ab. Warum dies? Der Vorsitzende der spanischen Kommunisten Santiago Carillo (PCE) hatte Biermann einst die Mitgliedschaft in der PCE angeboten. Da der Ableger der PCE in der Bundesrepublik Deutschland am Tropf der von der DDR alimentierten DKP hing, bot ihm diese schließlich nur die Ehrenmitgliedschaft an, um Aktivitäten des ehemaligen DDR-Bürgers und kritischen Liedermachers auszubremsen und ihn politisch mundtot zu machen. Verständlich deshalb Biermanns Vorbehalte gegenüber einer Ehrenmitgliedschaft. Als einfaches Mitglied dagegen werde er gern der DIG Berlin und Potsdam beitreten, so das Happyend der Geschichte. Wir freuen uns, ihn künftig in unserer Mitte zu wissen.

Fotos von Margrit Schmidt, Meggie Jahn und Fritz Zimmermann


Im Folgenden finden Sie eine Fotogalerie von Margrit Schmidt, aus der Sie Ihre Lieblingsbilder auswählen und unter der Adresse margrit-schmidt1@gmx.de direkt bestellen können. Wir danken Fritz Zimmermann fürs Zusammenstellen der Fotogalerie.

  • Wolf Biermann provoziert voller Leidenschaft. Artikel von Felix Stefan in der Berliner Morgenpost vom 04.11.2008. Mehr …
  • Literaturtipps:
    W
    olf Biermann: Heimkehr nach Berlin Mitte, Verlag Zweitausendeins, 2008, 14.99 Euro u.a. Mehr …
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