Verordnete Staatsräson

Zwei Drittel der Deutschen gehen von einer Gefahr für Israel durch das iranische Atomprogramm aus, aber es scheint ihnen gleichgültig zu sein. Das ist verstörend.

Von Esther Schapira

Am 26. April hatte Israel Geburtstag. Juden in aller Welt feierten die Staatsgründung am 5. Ijjar 5708. Die Mehrheit aber rechnet und fühlt anders. Für sie wurde der jüdische Staat am 14. Mai 1948 gegründet, und sie halten das wahrlich nicht für einen Grund zum Feiern.

Dass 200 Millionen Araber nicht verhindern konnten, dass 5 Millionen Juden heute in ihrem eigenen Staat leben, ist für die muslimische Welt eine anhaltende tiefe Kränkung. So weit, so verständlich. Aber warum bleiben Juden in Deutschland unter sich, wenn sie sich über die Existenz des einzigen jüdischen Staates freuen? Israel lebt im permanenten Ausnahmezustand. Noch in der Gründungsnacht erklärten sechs arabische Staaten Israel den Krieg, und die Vereinten Nationen, die mehrheitlich die Teilung Palästinas beschlossen hatten, überließen den jüdischen Staat seinem ersten Überlebenskampf. 64 Jahre ist das her. Es bestätigte die Jahrtausende alte jüdische Erfahrung, im Ernstfall allein zu sein. Sie bestimmt die israelische Politik bis heute – und das Lebensgefühl auch der Juden in Deutschland sobald über Israel geredet wird.

Antizionismus ist angesagtes Partygeschwätz. Die feinsinnige Unterscheidung, wo der Antizionismus aufhört und der Antisemitismus beginnt, ist dabei irrelevant. Bekennende Antisemiten sind ohnehin kaum zu finden. Nach Auschwitz ist der Antisemitismus diskreditiert. Er riecht nach Gas. Das Ressentiment des Antizionisten dagegen kommt moralisch rein daher und geriert sich als Parteinahme für die vermeintlich Schwächeren. „Man muss beide Seiten sehen“, ist fast immer die Einleitung dafür, die israelische Seite gefühlsmäßig auszublenden. Weder der permanente Raketenbeschuss aus Gaza noch die Terroranschläge und nicht einmal die iranische Vernichtungsdrohung können auch nur annähernd so viel Empörung auslösen wie die Ankündigung eines Siedlungsausbaus. Warum?

Israels Existenz ist „Staatsraison“, aber eben keine Herzenssache. Vielleicht ist die politisch verordnete Freundschaft mit einem Staat, der durch seine bloße Existenz deutsche Schuldgefühle auslöst, der zudem das Verhältnis zu den Ölstaaten erschwert und dem beizustehen, das Risiko erhöht, selbst zur Zielscheibe von Terroristen zu werden, den meisten einfach lästig. Das ist bitter, aber normal. Schließlich bringt auch das Massaker in Syrien oder das Gemetzel im Sudan hierzulande kaum jemanden um seinen gesunden Schlaf.

Heuchelei der Israelkritiker

Unerträglich aber ist die Heuchelei mit der Israelkritiker wie Sigmar Gabriel oder Günter Grass behaupten, Freunde Israels zu sein. Sehr viel ehrlicher geht es da in den Blogs und Leserbriefen zur Grass-Debatte zu. Die Sorge der Deutschen gilt dem Benzinpreis, die der Israelis der Bombe. Ob bei Welt Online, Financial Times Deutschland oder Emnid: Alle Umfragen zeigen das gleiche Ergebnis. Gut zwei Drittel der Deutschen gehen von einer ernsthaften Gefahr für Israel durch das iranische Atomprogramm aus – aber es ist ihnen herzlich gleichgültig. 83 Prozent fordern laut Emnid, dass Deutschland sich im Ernstfall raushalten solle.

Die Angst vor einer militärischen Eskalation ist dabei durchaus verständlich. Mich verstört aber die Gefühlskälte mit der bei uns darüber diskutiert wird, wie die Chancen stehen, dass der Iran eine Atombombe gegen Israel auch wirklich einsetzen könnte. Dass er sie bekommen wird, ist schon ausgemachte Sache und wäre aus deutscher Sicht nicht weiter beunruhigend, wäre da nicht die Bedrohung für den Weltfrieden, also für uns, durch die Entschlossenheit der Israelis, nicht abermals das hilflose Opfer zu sein. Kein anderes Volk hat so oft erlebt, wie gefährlich es ist, sich nicht rechtzeitig zu wehren. Wer der Vernichtung nur knapp entronnen ist, hat begreiflicherweise wenig Bereitschaft, gelassen abzuwarten, wie es diesmal ausgeht.

Nun gibt es gute Gründe, gegen einen Militärschlag gegen den Iran zu sein, die vor allem in Israel heftig diskutiert werden. Es gibt aber keine Rechtfertigung dafür, Israel lediglich aufzufordern abzuwarten, ob Teheran seine Drohung wahr macht. Wer sich glaubwürdig in diese Debatte einschalten will, muss bereit sein, im Ernstfall selbst militärisch für die Sicherheit Israels einzustehen. Alles andere ist eine Aufforderung zum potenziellen Selbstmord. 40 Jahre ist es her, dass Israel die Sicherheit seiner Bürger Deutschland anvertraute und bitter dafür bezahlen musste. Bei den Olympischen Spielen in München 1972 wurde die israelische Olympiamannschaft von palästinensischen Terroristen überfallen. Der damalige Chef des Mossad musste hilflos zusehen, wie seine Landsleute ermordet wurden. Heute ist Zwi Samir ein alter Mann, der an seinem Lebensende resümiert: „Der Schutz der Juden ist Sache der Juden, keiner wird das übernehmen. Die Erfahrung zeigt, dass es keinen Schutz gibt, es gibt Hilfe und Sympathie, aber um zu schützen, muss man bereit sein, auch mit Blut zu zahlen, und das tut keiner.“

Esther Schapira ist Ressortleiterin der Abteilung Zeitgeschichte beim Fernsehen des HR.

Hier finden Sie den Originalartikel in der F.R. vom 30.04.2012.

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