Im Spiegel historischer Erfahrungen: Prof. Dr. Michael Wolffsohn sprach im Weddinger Lichtburg-Forum über die politischen Folgen des „Arabischen Frühlings“ und über die Vorhersehbarkeit revolutionärer Muster.

Jochen Feilcke mit Prof. Dr. Michael Wolffsohn
Jochen Feilcke mit Prof. Dr. Michael Wolffsohn

“Was ist aus dem Arabischen Frühling geworden?“ Mit dieser Frage eröffnete Jochen  Feilcke, Vorsitzender der DIG Berlin und Potsdam, am 16. Februar 2012 die abendliche Veranstaltung im Saal des „Lichtburgforums“.  Michael Wolffsohn, Professor für neuere Geschichte, Autor und Publizist, antwortete mit prägnanten Thesen und vermittelte seinen Zuhörern aus der Perspektive des Historikers eine ernüchternde, keineswegs aber gänzlich pessimistische Diagnose.

Seiner Ansicht nach war absehbar, dass es in Ägypten früher oder später zu politischen Unruhen kommen werde – entgegen der Meinung vieler „Nahost-Experten“.  Aus historischer Sicht lasse sich ein elementares, grundsätzliches Muster innerhalb revolutionärer Bewegungen diagnostizieren. So würden revolutionäre Umbrüche im Anfangsstadium typischerweise von einem Wirtschafts- und Bildungsbürgertum getragen. Ohne reale Aussichten jemals an die politischen Machthebel zu gelangen, erweise sich das Bürgertum als Drahtzieher gesellschaftlicher Umbrüche – so zu Beginn der Französischen oder auch der Russischen Revolution.

Jochen Feilcke moderierte das Gespräch mit Prof. Wolffsohn
Auf dem Podium

Der Beginn des „Arabischen Frühlings“ Anfang 2011 wurde ebenfalls von einem jungen, gut ausgebildeten Bürgertum initiiert und getragen. Das Bürgertum, so Wolffsohn, eigne sich allerdings als langfristiger Organisator von Umbruchssituationen wenig, da es keine Berufsrevolutionäre hervorbringe. Es sei deshalb kein Kunststück vorauszusagen, dass nun – im zweiten Schritt der arabischen Revolutionen – die sogenannten gemäßigten, islamischen bis islamistischen Kräfte zum Zuge kämen, da diese bereits in vorrevolutionärer Zeit stabile Organisationstrukturen aufgebaut hätten.

Die Bilder vom Tahrir-Platz, wo sich 1 Million Menschen zum gemeinsamen verpflichtenden Gebet versammelten, hätten die tagespolitischen Korrespondenten weitgehend ausgeblendet, da sie offenbar nicht zum erwarteten Bild des „Arabischen Frühlings“ passten. Die ägyptischen Moslembrüder wurden schließlich mit einer scheinbar überraschenden Mehrheit von 70 % (davon über 20 % für die radikal-islamischen Salafisten) ins ägyptische Parlament gewählt. Die sogenannte bürgerliche Revolutionsjugend, die tonangebend in den ersten Massenprotesten und am Sturz von Präsident Hosni Mubarak beteiligt war, könne hingegen nur mit einer geringen Zahl von Abgeordneten aufwarten. Auch bei den zuvor abgehaltenen Wahlen in Tunesien seien die Wahlprognosen der Korrespondenten vor Ort schlichtweg falsch ausgefallen. Demokratische Wahlen garantierten also keineswegs demokratische Entwicklungen.

Im Anschluss gab es eine angeregte Diskussion.
Dr. Thomas E.K Diettrich beteiligte sich an der anschließenden Diskussion.

1933 seien die Nationalsozialisten auf demokratischem Weg an die Macht gekommen, einen ähnlichen Weg hätte die – 1987 als Zweig der Muslimbruderschaft gegründete – Terrororganisation Hamas eingeschlagen. Sie wurde 2006 in Gaza durch demokratische Wahlen als Regierungspartei legitimiert. Symptomatisch für die arabischen Entwicklungen sei darüber hinaus, dass nur 6 % der Libyer für eine „Demokratie nach westlichem Muster“ eintreten würden. Doch eine Demokratie bestehe, so Prof. Wolffsohn, eben gerade nicht aus einem beliebig variierbaren (westlichen) Muster, sondern stelle ein komplexes Regelwerk dar, bei dem es um die Pluralität mit zum Teil sehr konträren Parteien gehe.

In der ersten Reihe v.l. Jochen Feilcke, Thomas Hemberger, Inge Buchenau, Isabell Murray.
In der ersten Reihe v.l. Jochen Feilcke, Thomas Hemberger, Inge Buchenau, Isabel Murray und Necla Kelek. .

Gerade weil in revolutionär bewegten Zeiten der Erwartungshorizont der Menschen enorm hoch sei, entstünden für radikale, streng organisierte Kräfte gute Voraussetzungen, um  totalitäre Regime zu errichten. Doch gibt es in einer solchermaßen freiheitspolitischen Sackgasse noch Möglichkeiten zur kollektiven Umkehr? Wolffsohn ist davon überzeugt, dass der Todestrieb des Menschen wesentlich schwächer sei als der Lebenstrieb. Einen Wandel könne es demzufolge genau in der Phase geben, in der die Manipulierten feststellten, dass die eigentlichen Ziele der Regime die gesamte Gesellschaft in den Untergang führten.

Auch wenn die Stabilität Europas, so Prof. Wolffsohn, bis heute gefährdet erscheine, habe die europäische Integration nach 1945 verhindert, dass europäische Staaten – trotz scheinbar unlösbarer Konflikte – sich weiter ineinander „verbeißen“. Stattdessen hätten sie sich aufgrund gemeinsamer Interessen miteinander „verzahnt“. Der „rote Faden“ des historischen Kontexts zeigte sich in Wolffsohns abschließenden höchst brisanten Überlegungen zu den Gefahren und Chancen einer vorstellbaren palästinensisch-jordanischen Umwälzung. Im Königreich Jordanien lebten gegenwärtig über 70 %  Palästinenser mit jordanischer Staatsangehörigkeit.  Als ein Staatskonstrukt aus britischer Mandatszeit habe das liberale haschemitische Königreich Jordanien seine ursprünglichen Wurzeln im westlichen Saudi-Arabien. Es werde sich, nach Einschätzung Wolffsohns, nicht fortwährend gegen die Aufstände des nach Partizipation strebenden palästinensischen Bildungs- und Wirtschaftsbürgertums zur Wehr setzen können.

Das Lichtburgforum bei Nacht
Das Lichtburgforum bei Nacht

Einleitend nahm Michael Wolffsohn auch Bezug auf den besonderen Veranstaltungsort. Das heutige „Lichtburgforum“ ist eine Reminiszenz an das berühmte „Lichtburg“-Großkino, das von Karl Wolffsohn, dem Großvater Michael Wolffsohns, seit den späten 20er Jahren im nördlichen Wedding erbaut wurde. Das Meisterwerk moderner Architektur und Lichtinszenierung  –  inklusive der Tanzsäle, der Gastronomie sowie der inzwischen entstandenen „Gartenstadt Atlantik“  –  war eine enorme Errungenschaft für den nicht gerade reichen Bezirk. Die Lichtburg überzeugte als modernes Kunst- und Unterhaltungszentrum und war äußerst beliebt, auch aufgrund moderater Eintrittspreise.

1939 verlor Karl Wolffsohn sein gesamtes Lebenswerk, trotz zähen Ringens, aufgrund der Zwangsenteignungen durch das nationalsozialistische Regime. Das einzige „Zugeständnis“ der Nazis an Karl Wolffsohn war die „Erlaubnis“, so sein Enkel,  den umfänglichen Gebäudekomplex „zum Nulltarif“ an von ihm selbst gewählte „vier arische Freunde“ in Form einer Aktiengesellschaft zu überlassen. Selbstverständlich hatten sie Karl Wolffsohn vor seiner Flucht nach Palästina versichert, ihm seinen Besitz nach dem Ende der Nazi-Diktatur zurückzugeben. Nach 1949 erfolgte die Rückerstattung des Eigentums jedoch keineswegs ohne Probleme. Nur einer der vier Aktieninhaber wollte sich an die früheren Zusicherungen erinnern. Verkürzt gesagt – oder wie es Michael Wolffsohn ausdrückte: „to cut a long story short“ –  es sollte noch über ein Jahrzehnt dauern bis die Gartenstadt-Atlantik-Aktien wieder in den großväterlichen Besitz bzw. in den der Erben zurückkamen – Karl Wolffsohn erlebte es nicht mehr, er starb 1957. Die Lichtburg allerdings kam nicht zurück, das einzigartige Bauwerk war vom Westberliner Senat übernommen worden und wurde 1970 abgerissen.

Und dennoch, die Seele der Lichtburg lebt im heutigen Konzept des „Lichtburgforums in der Gartenstadt“ im Herzen Weddings fort. Michael Wolfssohn hat es zusammen mit seiner Frau Rita zu neuem Leben erweckt. Im Vordergrund des Programms stehen „deutsch-türkische-jüdische Kulturprojekte“ und alle Themen, bei denen die Kultur des Gedankenaustauschs und der Zivilcourage zum Tragen kommt, so Wolffsohn. Darüber hinaus wird das im Stil der klassischen Moderne neuausgebaute Lichtburgforum als Veranstaltungsort vermietet. Mit seiner schlichten, hellen Saalästhetik eignet sich der – auch heute noch – preisgünstige Kulturtreffpunkt ausgezeichnet für Vortragsveranstaltungen, Kleinkunst und Konzerte.
Mehr zum Lichtburgforum findet sich hier.

Wir danken Isabel Murray für den Bericht und Margrit Schmidt für die Fotos.

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