Bericht: Israel-Reise 2020 der DIG Berlin-Brandenburg e.V.

Israel-Reise 2020 – ein Reisebericht

Montag, 03.02.2020

Flug von Berlin nach Tel Aviv mit EL AL. Fahrt nach Jerusalem. Abendessen und Zeit zur freien Verfügung. Übernachtung in Jerusalem

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Das fing ja gleich gut an: Ich wurde zum Schreiben des Tagesprotokolls für den Anreisetag verdonnert. Der war allerdings dominiert von einem ereignislosen und angenehmen Flug nach Tel Aviv, so dass es diesbezüglich nicht viel Aufregendes zu berichten gibt. Damit wenigstens etwas aufs Papier kommt, nachfolgend ein paar aeronautische Details. Wen das nicht interessiert, springt besser jetzt direkt zu Tag 2.

Um 8:00 traf sich die Gruppe im Terminal D/Airport Schönefeld (SXF/EDDB). Die Sicherheitsüberprüfungen beim Check-In und Boarding für unseren EL AL Flug LY 2372 waren schon aufwändiger als üblich und machten bereits hier das gesteigerte Sicherheitsbedürfnis Israels deutlich.

Um 11:19, also mit 19minütiger Verspätung, hoben wir in SFX von Startbahn 25 (Nordbahn) in westlicher Richtung ab. Das Flugzeugmuster, eine Boeing 739-958ER (Extended Range) mit der Kennung 4X-EHC, war gerade mal  5 Jahre alt und damit in neuwertigem Zustand. Die Route führte uns dann in einer Reiseflughöhe von 33.000ft (10.058m) in südöstlicher Richtung über Polen, den Ostzipfel Tschechiens, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Türkei, vorbei an der Westspitze Zyperns direkt auf die Landebahn 30 des Flughafens Ben Gurion in Tel Aviv (TLV). Die Gesamtflugstrecke betrug 2.846 km mit einer vorausberechneten Flugzeit von 4:10 h. Da wir auf der Route starken Rückenwind hatten, erreichten wir unser Ziel bereits um 15:28 Ortszeit (CET +1), also 42 min eher als geplant (16:10 Ortszeit). Eine Karte mit unserem exakten Streckenverlauf habe ich angefügt. Noch Fragen?

Unsere sehr kenntnisreiche und liebenswürdige Reiseführerin Naomi war bereits am Flughafen zur Stelle und mit einem komfortablen Reisebus machte sich unsere 25köpfige Gruppe auf den ca. einstündigen Weg über die Fernstraße 1 zum Hotel Eldan nach Jerusalem in unmittelbarer Nähe der Altstadt. Historie überall: Am Straßenrand waren z.B. gelegentlich Wracks alter Jeeps zu sehen, die daran erinnerten, wie sie hier in der Gründungsphase des Staates Israels die Sicherheit des Verkehrs gewährleistet haben.

Einchecken, Abendessen und anschließend mit einem Teil unserer Gruppe und unter fachkundiger Führung von Reinhardt Männe ein Spaziergang zur nahegelegenen Klagemauer (Western Wall) und in die zu diesem späten Zeitpunkt nahezu verwaiste Altstadt. Ein beeindruckender Rundgang, der uns einen allerersten interessanten Eindruck von Jerusalem vermittelte. Danach ab in die Kiste, in der wir auch ohne die Hilfe von Alexas Einschlafgeräuschen zügig in Morpheus‘ Armen versanken …

(Winrich Kyas)

Dienstag, 04.02.2020

Besichtigung der Knesset. Besuch von Yad Vashem, anschließend Mahane Yehuda Markt. Abendessen und Übernachtung in Jerusalem

Besichtigung der Knesset

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Schon um neun Uhr waren wir in Jerusalem im Stadtteil Givat Ram im israelischen Parlament, der Knesset („Versammlung“), zur Führung verabredet. Ein guter Anfang, wie ich finde, für eine politische Bildungsreise in Israel. Die Knesset ist ein quadratischer Flachbau auf einer Anhöhe, mit großzügiger Freifläche davor, der 1966 fertiggestellt wurde. 1992 wurde ein weiterer Flügel fertiggestellt, der vor allem im Untergrund liegt, um das Gesamtbild nicht zu stören. Seit 2015 befinden sich Solarmodule flach auf dem Dach.

Eine aus Hamburg eingewanderte junge, charmante und kompetente Frau leitete und erklärte uns historische, künstlerische und technische Einrichtungsgegenstände, u.a. eine Kopie der Gründungs- und Unabhängigkeitserklärungsurkunde des Staates Israel. Übersetzt lautet der letzte Satz: „Mit Zuversicht auf den Fels Israels setzen wir unsere Namen zum Zeugnis unter diese Erklärung, gegeben in der Sitzung des provisorischen Staatsrates auf dem Boden unserer Heimat in der Stadt Tel Aviv. Heute am Vorabend des Shabbat, dem 5. Ijar 5708, 14. Mai 1948.“ Noch in der Nacht um 24.00 Uhr lief das britische Mandat aus. Bereits kurz danach erklärten Ägypten, Transjordanien, Syrien, Libanon und Irak dem neuen israelischen Staat den Krieg.

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Beeindruckend war ein 15 Meter langer, dreiteiliger Wandteppich nach Entwürfen von Marc Chagall in einem saalartigen nach außen mit Fenstern offenem Foyer. Das Triptychon stellt biblische und moderne Themen und Szenen aus der und zur Geschichte des jüdischen Volkes in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dar. Unübersehbar: die Befreiung aus der Sklaverei, der Empfang der Zehn Gebote und die Königschaft Davids. Am Ende nach Jesaja 65, Vers 25a, „weiden Wolf und Lamm beieinander“. In der Nähe des Einganges für die Abgeordneten befindet sich ein großer Bildschirm mit allen 120 Porträts der in der Regel alle vier Jahre Gewählten. Manche Fotos waren farbig, die anderen schwarz-weiß. Alle Volksvertreter, die sich gerade im Haus befinden und man deshalb vielleicht persönlich aufsuchen könnte und ganz sicher bei der Arbeit sind, sind so farbig kenntlich gemacht, auch im Internet.

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Der Plenarsaal wirkt kleiner, als ich ihn mir vorgestellt hatte. An den Seiten sind Tribünen für Zuhörer*Innen und Medienvertreter*Innen. An der linken Stirnseite über dem Präsidium hängt ein Porträt von Theodor Herzl, der bis zu seinem Tod im Jahr 1904 in Europa gelebt hat. Herzl war aufgrund von Pogromen, gesetzlicher Diskriminierung und Antisemitismus gegen Juden in der Diaspora der Überzeugung, dass Juden, die in der Bibel als das Volk Israel bezeichnet werden, in einem jüdischen Staat zusammenleben sollten. Er wurde zu dessen Vordenker, organisierte die Massenbewegung des Zionismus und bereitete so der Gründung Israels den Weg. Damit erklärt sich auch, dass der schon im Salomonischen und Herodianischen Tempel vorhandene siebenarmige Leuchter, die Menora, die sich auch als ein fünf Meter hohes Bronzemonument von Benno Elkan, einem aus Dortmund stammenden jüdischen Bildhauer, der 1935 emigrieren konnte, vor der Knesset befindet, zugleich im Staatswappen platziert ist und sich selbst im Grundriss der Bestuhlung des Plenarsaals wiederfindet. Die Menora symbolisiert u. a. einen Baum mit Wurzelwerk, mit einem Stamm und dann gleichrangigen Ästen mit Blüten oder Früchten. Ich finde es wunderbar, dass in diesem Bild (sieben) diverse Früchte miteinander „in Augenhöhe“ demokratisch agieren. Als Leuchter bringt er gleichzeitig auch Licht in die Welt, das Göttliche ins Dunkel. In Ermangelung des zweimal zerstörten jüdischen Tempels auf dem Tempelberg in der Altstadt, sah ich allein durch die Architektur der Knesset eine Verbindung zwischen Tempel und Knesset. Vielleicht einen, zudem transparenten,Tempel der Demokratie. Demokratie, die in diesem Teil der Erde, im Nahen Osten, weit und breit die einzige ist.

Als wir gingen, übten in wenigen Metern Abstand zu uns fotografierenden Besucher*Innen, elf junge Soldat*Innen mit Bewaffnung militärischen Schritt und Haltung zur Repräsentanz, Bewachung und Verteidigung des Gebäudes. Die Atmosphäre empfand ich als freundlich und friedlich.

(Hans-Joachim Meyer)

Besuch in Yad Vashem

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Am neunten Tag nach dem internationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar betraten auch wir den Warschauer Platz in Yad Vashem, wo die Staats- und Regierungschefs diesen Tag feierlich begangen haben. Wir DIG-Vertreter hörten uns still die Gedenkrede von unserem Bundespräsidenten Steinmeier aus dem Smartphone von Naomi an. Dieser Eindruck vor dem Denkmal des Warschauer Aufstands vom Januar 1943 wurde von uns mit Schweigen beantwortet. Ab 1942 wurden die Ghetto-Insassen ins KZ Treblinka deportiert und dort vergast und verbrannt. Mir fiel dabei ein Zitat aus einem Gedicht von Paul Celan ein: „…wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng.“

Yad Vashem, übersetzt ‚Denkmal und Namen‘, empfing uns mit der Allee der Gerechten. Nicht-Juden, die als „Gerechte unter den Völkern“ anerkannt wurden, dürfen hier einen Baum pflanzen. Unter den Hunderten von Bäumen sei hier nur der Name von Oskar Schindler genannt. Schaudernd beeindruckend war für uns der Deportationswaggon der Reichsbahn, der „frei-schwebend“ auf Schienen als Auschwitz-Denkmal im „Nirgendwo“ endete. Bedrückend wirkte die Ewige Flamme mit den im Boden eingelassenen Namen der größten Vernichtungslager in der Halle der Erinnerung für die KZ-Opfer. Es fehlten uns die Worte, um an die Millionen Opfer zu denken, jeder war mit sich selbst in Gedanken beschäftigt.

Hinter dem Obelisken, einem Denkmal für das Heldentum der Widerstandskämpfer, betraten wir über eine Steinpassage die unterirdische Höhle, einen Raum zum Gedenken an die 1,5 Millionen ermordeten Kinder. Der dunkle Raum erhellte sich nur punktuell durch brennende, sich spiegelnde Kerzen, die eine Illusion von Sternengalaxien erzeugten. Eine Tonbandstimme verlas die Namen, das Alter und die Herkunftsländer der Kinder. Ein schauerlicher Druck setzte sich in unserem Innern fest.

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Ein weiteres Relief-Denkmal zeigte Dr. Koszak mit „seinen“ Kindern aus dem Warschauer Ghetto. Er ging mit ihnen zum Umschlagplatz, bestieg den Viehwaggon, um dann mit ihnen gemeinsam ins KZ und ins Gas zu gehen. Während dieser Zeit versuchte Dr. Koszak seine Kinder zu beruhigen, sie schrieen und weinten, denn sie ahnten wohl Tod und Verderben.

Das Museum zur Geschichte des Holocaust ist eine lang gestreckte Pyramide und zeigt mit Originalgegenständen, Zeugenaussagen, Fotos, Dokumenten, Kunst, Multimedia und Videos in neun unterirdischen Galerien die Geschichte der Shoa aus jüdischer Perspektive, angefangen mit der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz in Berlin bis zum Beginn der Befreiung der Juden aus den Konzentrationslagern am 27.Januar 1945 in Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee. In der Halle der Namen werden mehr als zwei Millionen Gedenkblätter mit biografischen Notizen in den Regalen aufbewahrt. Für sechs Millionen solcher Gedenkblätter ist Raum vorhanden, das heißt, dass die Aufzeichnung der Geschichte des Holocaust noch nicht abgeschlossen ist. Die Porträts der Opfer in der Kuppel über uns spiegeln sich im Wasser eines tiefen Trichters am Boden wider.

Ein weiterer Gang führte uns den Berg der Erinnerung (Har Hazikaron) hinab zum Garten der Gerechten. Dort sind die Namen derer eingraviert, die während der Shoa Juden retteten – in alphabetischer Reihenfolge auf nach Ländern angeordneten Steinwänden. Weiter ging es in das Tal der Gemeinden. Auf 107 Steinwänden stehen die Namen von mehr als 5000 jüdischen Gemeinden, die im Holocaust zerstört wurden oder deren Mitglieder nur knapp überlebten. Abschließend zitiere ich aus dem Prophetenbuch Jesaja: „Und ihnen will ich in meinem Hause und in meinen Mauern ein Denkmal und einen Namen geben, der nicht getilgt werden soll.“

Schweigend und mit bedrückten Gedanken verließen wir Yad Vashem. Erst langsam fanden wir wieder Worte. Mit dem Bus fuhren wir zum Markt Mahane Yehuda. Dort erlebten wir ein Kontrast-Programm mit dem quirligen Leben der Jetztzeit.

(Reinhard Männe)

Mittwoch, 05.02.2020

Jerusalem Altstadt, Blick vom Ölberg auf die Via Dolorosa und Westmauer (Klagemauer) und das Jüdische Viertel. Fahrt nach Bethlehem. Abendessen und Übernachtung in Jerusalem

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Für heute hatten wir uns zunächst die Altstadt von Jerusalem vorgenommen. Aber zuerst steuerte unser Bus den Ölberg östlich von Jerusalem an, von dem aus man einen fantastischen Panoramablick über die Altstadt mit dem Tempelberg hat. Auch der Felsendom und die Al-Aqsa-Moschee sind von hier aus gut zu sehen. Links vor der heutigen Stadtmauer konnten wir den Platz der ehemaligen Davidsstadt ausmachen. Unterhalb der Aussichtsplattform befindet sich der große jüdische Friedhof am Ölberg mit seinen Steinplatten. Wir machten danach noch Station am Garten Gethsemane. Und wir lernten – das sollte sich an diesem Tag noch mehrfach zeigen – dass die Christen die Angewohnheit hatten, auf jeden wichtigen biblischen Platz eine Kirche zu bauen. Welche Blüten das treiben kann, sollten wir später sehen. Hier am Garten Gethsemane steht die Kirche aller Nationen – ein römisch-katholischer Bau, der zum lateinischen Patriarchat von Jerusalem gehört. Im Inneren der Kirche befindet sich unter einem blauen, reich bemalten Kuppelgewölbe der Stein, auf dem Jesus vor seiner Gefangennahme gebetet haben soll. Im Garten selbst stehen uralte Ölbäume mit dicken, mehrfach verzweigten Stämmen, deren Alter schwer geschätzt werden kann – bei einigen geht man von mindestens 800 – 1000 Jahren aus.

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Nun ging es mit dem Bus zum Zionstor am südlichen Ende der Altstadt, das noch zahlreiche Einschusslöcher vom Unabhängigkeitskrieg 1948 aufweist, und dann zu Fuß weiter in das armenische Viertel und in das Gewirr der Gässchen der Altstadt. Naomi kannte einen „eiligen Ort“ im heiligen Ort – nämlich in der Dormitio-Abtei der Benediktiner auf dem Zionsberg, bei dem wir alle kurz und kostenlos verweilten. Manchmal glaube ich, Naomi kennt alle „Örtchen“ von Eilat bis kurz vor Beirut. Durch Sträßchen und Gässchen ging es durch das jüdische Viertel bis zu den Überresten der alten Römerstraße „Cardo“, die die Römer durch Jerusalem gebaut hatten, als sie ihre Stadt „Aelia Capitolina“ auf dem historischen Jerusalem errichteten, um jede Erinnerung an die Juden zu tilgen. Das ist ihnen langfristig ganz offensichtlich nicht gelungen. Aber es ist spannend, an den römischen Säulen entlang unter den Häusern der heutigen Stadt entlangzugehen, und natürlich blieb der eine oder andere auch an den kleinen Souvenirläden hängen. Zurück ans Tageslicht – auf den Hurva-Platz, auf dem die Goldene Menora steht, die das Tempel-Institut für den Fall hat anfertigen lassen, dass irgendwann der dritte Tempel gebaut wird. Über Treppen und Gänge gingen wir direkt zur Westmauer („Kotel“ auf hebräisch), die man im Deutschen oft „Klagemauer“ nennt, obwohl sie gar nicht der Klage, sondern dem Beten dient. Für viele von uns war das ein ganz besonderer Augenblick, als wir – getrennt nach Männlein und Weiblein, die Herren mit bedecktem Haupt – direkt an die uralten Steine treten konnten, die einst den jüdischen Tempel umgeben haben, und dort eine andächtige halbe Stunde verbrachten.

Unser Weg führte uns nun in das arabische Viertel mit seinen vielen kleinen Läden, quirligen Verkäufern, orientalischer Musik und ebensolchen Wohlgerüchten. Allein hier könnte man Stunden verbringen und vor lauter „günstigen Gelegenheiten“ seine gesamte Barschaft verlieren. Über die vielen Stufen der Via Dolorosa ging es hinauf zur Grabeskirche im christlichen Viertel, die über dem vermuteten Ort der Kreuzigung und Grablegung Christi erbaut worden ist. Dort haben sich lange Zeit verschiedene katholische und orthodoxe Konfessionen heftig darum gestritten, wer über diesen Ort verfügen darf, bis irgendwann eine Einigung darüber erzielt werden konnte, wann welche Gruppe welchen Teil des Baus wie nutzen darf. Und so muss man aufpassen und rechtzeitig Platz machen, wenn im Halbdunkel der reich mit allerlei Zierrat geschmückten Gewölbe resolute Mönche Weihrauch schwenkend im Laufschritt zwischen den Schlange stehenden Touristenmassen hindurchmarschieren. Aufatmend kamen wir zurück ans Tageslicht, und nachdem alle Schäflein beisammen waren, ging es an der von Kaiser Wilhelm II möglichst nahe an der Grabeskirche erbauten lutherischen Erlöserkirche vorbei zu einem Falafel-Imbiss, bei dem sich die Füße erholen und wir unsere Mägen auf leckere Art füllen konnten. Von hier aus war es kein weiter Weg mehr zum Jaffator, wo uns unterhalb der Zitadelle unser treuer Adam mit dem Bus erwartete, denn das zweite Ziel des heutigen Tages war die Geburtskirche in Bethlehem.

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Bethlehem liegt heute in den Palästinensischen Autonomiegebieten, so dass wir die Schutzmauer passieren und durch einen Checkpoint fahren mussten. Schön ist so eine Mauer nicht (obwohl viele nicht wissen, dass der allergrößte Teil der Grenze zu den Autonomiegebieten eigentlich nur ein Zaun ist), aber sie hat in der Vergangenheit schon oft Leben gerettet – und bevor die Bedrohung nicht aufhört, ist sie eben unverzichtbar. Man sieht an den Gebäuden in Bethlehem, dass durchaus Geld vorhanden, es aber sehr ungleich verteilt ist. Und so wurden wir mehrfach von Kindern angebettelt, die im System der palästinensischen Fatah leider offenbar keine andere Zukunftsperspektive haben. Die orthodoxe Kirche selbst – eine frühchristliche Basilika – ist innen reich geschmückt mit weihnachtlich anmutenden Leuchtern, Fresken und einem teilweise restaurierten Mosaikboden. Der vermutete Geburtsort Christi befindet sich in der Grotte unterhalb der Kirche, die man über Steinstufen erreichen kann. Gleich neben der Kirche besichtigten wir noch die römisch-katholische Katharinenkirche, unter der sich in einer Grotte das Grab des Hl. Hieronymus befindet, der im vierten Jahrhundert die Vulgata, die erste lateinische Bibelübersetzung, angefertigt hatte. Ich glaube, dass wir ohne die sachkundigen Erklärungen von Naomi nicht ansatzweise verstanden hätten, was wir da alles gesehen haben – das war nicht nur lehrreich, sondern auch wirklich hochinteressant!

(Kai Dorra)

Donnerstag, 06.02.2020

Totes Meer mit Masada und Qumran. Gelegenheit zum Baden und Fahrt zum See Genezareth. Abendessen und Übernachtung im Kibbuz Shaar Hagolan

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Nach dem Frühstück in Jerusalem ging es mit dem Bus Richtung Osten zum Toten Meer. Wir sahen Beduinendörfer, deren Bewohner nicht mehr herum ziehen dürfen, sondern mit ihren Tieren in Zelten oder Holzbaracken siedeln. Vorbei an Dattelhainen, Wasserstaubecken und  Anbaugebieten von Paprika, Gemüse und Wassermelonen.

Naomi erzählt uns vom großen Graben, der von Ostafrika durch den Sinai, Westjordanland, Nordsyrien bis zur Südtürkei führt. Die ganze Strecke ist Erdbebengebiet. Die Wüste Negev war früher überschwemmt, man findet Fossilien.

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Auf der Fahrt nach Süden, am Toten Meer vorbei, das 420 m unter dem Meeresspiegel liegt, mit einem Salzgehalt von über 30 Prozent, erfahren wir, dass dieses Meer – eigentlich ein Binnensee – vom Jordan über den See Genezareth gespeist wird. Wegen der Bewässerung der Felder und zusätzlicher Dürreperioden ist der Wasserstand in den letzten Jahren stark gesunken. Aus dem Toten Meer werden auch Mineralien gewonnen: Schwefel, Salze, Magnesium, Brom, Pottasche – schon bei den Römern als Grundstoffe für Dermatologika bekannt. Im Uferbereich des Sees erkennt man immer wieder tiefe Krater, die durch unterirdische Wasserläufe entstehen und den Boden unsicher machen fürs Betreten, Beackern oder Bebauen.

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Vorbei an der Oase En Gedi erreichen wir Masada. Diese Festungsanlage liegt auf einem 440 m hohen Felsplateau, heute mit einer Seilbahn oder zu Fuß zu erreichen. Herodes der Große ließ sie als uneinnehmbare Schutzburg ab 36 (v.d.Z.) errichten. Sie besteht aus Mauern, Wehrtürmen, glanzvollen Palästen, Zisternen, Speichern, Wasserversorgungssystemen, Badehaus und Synagoge.  Nach dem Tod von Herodes (4 v.d.Z.) wurde Masada römischer Garnisonsstützpunkt. Im Jahre 66 (n.d.Z.) eroberten Zeloten die Festung. Circa 950 Menschen bewohnten Masada, als die Römer mit 10.000 Mann versuchten, ab 73 (n.d.Z.) das letzte Widerstandsnest zu stürmen. Die Belagerung dauerte drei Jahre und gelang nur durch die Errichtung einer Gesteins-Rampe gegen den natürlichen Bergabhang. Die Bevölkerung beging kollektiven Selbstmord, da sie nicht als Sklaven in Gefangenschaft ihr Leben beenden wollten. Noch heute gilt Masada als jüdisches Widerstandssymbol gegen Besatzer.

Unser nächstes Ziel: Qumran am Toten Meer. 1947 fand man in diesem kargen Felsmassiv Schriftrollen in Terrakottakrügen, die auf Texte circa 250 Jahre vor unserer Zeitrechnung hinweisen. Damals lebte dort eine jüdische Ordensgemeinschaft von Männern, die ihre religiösen Regeln und Glaubensbekenntnisse mit Kohle, Gummi und Granatapfelsaft niederschrieben. Wir besichtigten die Ausgrabungsstätte des Klosters (Küche, Zisterne, Bad, Schreibsaal, Speisesaal, Bäckerei, Töpferei).

Anschließend hatten wir die Gelegenheit, im Toten Meer zu baden. Es war ein Vergnügen, auf dem Wasser zu liegen. Anschließend fuhren wir nach Norden, vorbei an Treibhäusern mit Gemüse und Blumen. Dieser Teil steht unter palästinensischer Verwaltung, aber auch jüdische Siedlungen sind zu erkennen. Bevor wir den Kibbuz Shaar Hagolan erreichen, fuhren wir einige Zeit direkt am Grenzzaun zu Jordanien entlang. In der Dunkelheit war das unheimlich.

Im Kibbuz hatten wir am Abend ein Gespräch mit der 75-jährigen Nurit, ehemalige Leiterin des Kibbuz. Sie erzählte uns von den Anfängen ca. 1940, die sozialistisch geprägt waren – kein Privateigentum, gleiche Bezahlung, harte Arbeit in der Landwirtschaft, ständiger Beschuss aus Jordanien und Libanon, später Arbeit in einer Plastikfabrik, noch später gab es eine Erweiterung durch Vermietung von  Fremdenzimmern – gegen den Widerstand der Orthodoxen. Nurit: „Man braucht viel Geld, um sich den Sozialismus leisten zu können.“ Da das Kibbuz in der Peripherie liegt, ist es schwer, neue und junge Leute zu finden. Die  alten werden sozial sehr gut versorgt, wollen aber eine geschlossene Gesellschaft behalten und sind gegen neue Ideen.

(Christina Schwarz)

Freitag, 07.02.2019

Besuch der heiligen Stätten am See Genezareth und Fahrt zu den Golanhöhen mit Besichtigung von Berg Ben Tal. Abendessen und Übernachtung im Kibbuz Shaar Hagolan

Heute ist ein schöner Tag, auch wenn es etwas nieselt. Nach dem reichhaltigen Frühstück brechen wir zum See Genezareth zum Ort (Berg) der Bergpredigt auf, wo Ralf uns die ‚Seligpreisungen‘ Matthäus 5.1-12 zitiert.

1 Als er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg. Und er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. 2 Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: 3 Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich. 4 Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. 5 Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. 6 Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden. 7 Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. 8 Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen. 9 Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen. 10 Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich. 11 Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und allerlei Böses gegen euch reden und dabei lügen. 12 Seid fröhlich und jubelt; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.

Anschließend geht es weiter zu den Golanhöhen, vorbei an Drusendörfern. Man sagt, der Wein in diesen Höhen munde besonders. Also gönnen wir uns einen kurzen Abstecher zur „Golan Hights Winery“ und benetzen unsere Kehlen mit etwas leckerem Wein. Es geht weiter nach Kafarnaum, zum Wohnsitz Jesu zu seiner Zeit am See Genezareth. Dort liest Ralf aus „Der Hauptmann von Kafarnaum“. Die Erzählung berichtet von Jesu Heilung des Dieners eines Hauptmannes in Kafarnaum. Nach der Mittagspause fahren wir nach Tabgha, dem Ort der „Brotvermehrung“ oder auch „Die Speisung der 5000“ genannt.

Zurück im Kibbuz lassen wir den Tag nach einem opulenten Abendmahl mit ein paar Gläsern Wein von den Golanhöhen ausklingen und geben ein paar Statements zur Lage Israels zum Besten.

(Tim Neuhaus)

Samstag, 08.02.2020

Führung durch den Kibbuz mit Kinderbunker. Fahrt nach Akko, Haifa und weiter nach Tel Aviv. Abendessen und Übernachtung in Tel Aviv. Gespräch mit Avi Primor

Das Interesse an der Kibbuzbewegung ist in Israel in den letzten Jahrzehnten deutlich gesunken, die Bewohner haben sich längst neue Einkommensquellen gesucht, Landwirtschaft allein reicht nicht mehr. So auch im Kibbuz Shaar Hagolan, über dessen Geschichte uns Nurit, ehemalige Leiterin des Gästebereichs, so lebhaft erzählt hat. Beim gemeinsamen Rundgang kommen wir auch zum sogenannten Kinderbunker, zwei Treppen unter der Erde.

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Wir sitzen in einem etwa dreißig Quadratmeter großen Raum, eingerichtet mit Doppelstockbetten, Kindermöbeln, Bücherregal und alten Fotos an den Wänden. In und nach dem Sechstage-Krieg 1967   schliefen die Kinder auch in den nächsten drei Jahren nachts im Bunker und durften tagsüber erst vor die Tür, wenn das Gelände nach Granatsplittern abgesucht  war, denn auf den Feldern rund um den  Kibbuz wurden immer wieder Minen gefunden.

Nurit zeigt uns einen Film über die Kindererziehung im Kibbuz. Kollektive Bildung und Erziehung gehörten zu den grundsätzlichen sozialistischen Regeln der Arbeits- und Lebensgemeinschaft, also sahen die Kinder ihre Eltern nur für ein paar Stunden am Abend, heute undenkbar. Aber „man kann die damalige Zeit  nicht mit heutigen Maßstäben messen“, sagt Nurit, „damals brauchten die Eltern Freiraum für Sitzungen und Versammlungen, die Kibbuzbewegung war ein wichtiger Baustein im noch jungen Staat Israel. Heute ist es schwer, Familien für diese einst große sozialistische Idee zu begeistern.“

Unsere nächsten Station ist die nördlich von Haifa am Mittelmeer gelegene Hafenstadt Akko, umgeben von dicken Festungsmauern, eine wahre Trutzburg. In der Altstadt leben vor allem Menschen arabisch-palästinensischer Herkunft, hier ist die Atmosphäre besonders orientalisch. Spannendste Sehenswürdigkeit: die Festungsstadt der Kreuzfahrer. Sie liegt zum großen Teil unter der Erde: Riesige Hallen, Säle und der Tunnel der Tempelritter unter der großen Zitadelle – ein eindrucksvoller Spaziergang durch die Geschichte der Kreuzritter (12. Jahrhundert).

Weiter geht die Fahrt nach Haifa. Israels größte Hafenstadt begrüßt uns mit heftigem Wind und kräftigem Regen. Von einem höher gelegenen Aussichtspunkt mit Blick auf die Stadt bekommt man zumindest einen kleinen Eindruck von Hafen, Stadtanlage und Bahai-Palast mit großem Garten. Anschließend Weiterfahrt nach Tel Aviv, wo wir abends Avi Primor treffen, den israelischen Botschafter in Deutschland von 1993 bis 1999.

Avi Primor war und ist ein liberal denkender Mensch und Diplomat, der sich stets für die Annäherung von Israelis und Palästinensern eingesetzt hat. Das wird auch in diesem Gespräch spürbar, in dem Primor Bundeskanzlerin Merkel und Bundespräsident Steinmeier für ihre Bemühungen um Israel und das Gedenken an die Shoah großen  Respekt zollt. Er gibt offene und ehrliche Antworten: „Wir sitzen auf Bajonetten seit mehr als 70 Jahren“ umschreibt er symbolisch die Situation Israels. Ohne Amerika wäre das Land kaum lebensfähig, es ist – sagt er – komplett abhängig von Amerika, seinen Waffenlieferungen und umfangreichen Finanzhilfen. Gleichwohl gibt er dem neuen Friedensplan von Donald Trump und Benjamin Netanjahu keine Chance, denn verhandelt wurde ohne die Palästinenser. Israels Interesse, mit der arabischen Welt Frieden zu schließen, ist allgegenwärtig – der größte Feind des Landes ist der Iran.

In Israel wird am 2. März 2020 zum dritten Mal innerhalb eines Jahres gewählt – wieder mit ungewissem Ausgang. Für Avi Primor ist eine Große Koalition die einzig mögliche  Regierungskonstellation. Der erfahrene Diplomat ist Pragmatiker – auf die Frage, wie denn die israelische Bevölkerung mit dem latenten Kriegszustand umgehe, antwortet er: „Die Leute haben sich daran gewöhnt, man lebt damit.“ Wird es jemals eine Lösung geben? Primor glaubt nicht daran: „Die Unterschiede zwischen den beiden Völkern sind zu groß, als dass man sich vorstellen kann, als ein Volk in Einheit zu leben.“ Das ist indirekt auch Thema seines neuen Buches „Weit war der Himmel über Palästina“, in dem er eine fiktive Geschichte von drei Familien unterschiedlichen Glaubens in Israel erzählt, die Freunde werden. Das Buch erscheint Ende Februar 2020 im Verlag Bastei-Lübbe.

(Christiane Schwalbe)

Sonntag, 09.02.2020

Besichtigung von Tel Aviv mit Schwerpunkt Rabin Square, Weiße Stadt mit Bauhausarchitektur und Rothschild Boulevard. Treffen mit Grisha Alroi-Arloser von der Deutsch-Israelischen Industrie- und Handelskammer AHK. Gespräch mit Arye Sharuz Shalicar. Abendessen und Übernachtung in Tel Aviv.

Nach einer Besichtigung des Yitzak Rabin-Denkmals am Rathaus von Tel Aviv und einem Spaziergang auf dem Rothschild-Boulevard, an dem wir neben modernen verglasten Wohn- und Geschäftsbauten  etliche Häuser im Bauhaus- und Jugendstil sahen („Weiße Stadt Tel Aviv“), wurden wir von Grisha Alroi-Asloser, Geschäftsführer der AHK empfangen.

In seinem Vortrag stellte er die wirtschaftliche Situation Israels anhand von 7 Kriterien dar:

  1. K: Die Kleinheit Israels wird durch die Zahl der Bevölkerung bestimmt: 1948 waren es 850.000 Einwohner, 2020 leben 9,1 Mill. Menschen in Israel.
  2. K: Die Knappheit von Rohstoffen sind bestimmende Faktoren, insbesondere Wasser: Trotz der Wasserversorgung aus großen Meerwasserentsalzungsanlagen am Mittelmeer, die per Pipeline das Süßwasserreservoir ‚See Genezareth‘ füllen (wie selbst gesehen, auch durch heftige Niederschläge auf den Golanhöhen), ist in den heißen Sommermonaten das Wasser knapp. Jordanien wird trotz allem mit hohen Wassermengen beliefert.
  3. K: Wegen des Kriegszustandes – nur mit Jordanien und Ägypten bestehen Friedensvereinbarungen – werden Militärausrüstungen hauptsächlich aus den USA beschafft. Da Israel Lieferboykotts befürchtet, werden in steigendem Maße Waffen selbst produziert und zu 60% exportiert.
  4. K: Kenntnisse: Gut ausgebildete Einwanderer sind ein wirtschaftliches Potential, das durch die hohen Standards israelischer Universitäten ergänzt wird. Das multikulturelle Leben bereichert die Sichtweisen der Arbeitnehmer, die in den Bereichen Informationstechnik, Medizinwesen und Dienstleistungen tätig sind.
  5. K: Die Kultur des Zusammenlebens erfolgt nach dem Motto „Geht nicht, gibt´s nicht“. Es wird immer nach einer Lösung gesucht, auch wenn es die zweitbeste Lösung ist. Parallel dazu gibt es die Denkweise „Think out of the box“, wobei Scheitern als eine positive Erfahrung gewertet wird. Kaltschnäuzigkeit (‚Chuzpe‘) wird ebenso wie die Herausforderung durch Autoritäten und Besserwisserei als Grundlagen für Innovationen angesehen.
  6. K: Kapital zur Risikoabdeckung für wirtschaftliche Projekte wird in erforderlicher Höhe zur Verfügung gestellt. Start-Ups werden zu 15% durch Familie, Freunde und Followers, zu 85% durch staatliche Fördermittel finanziert. Anfangs wurden 10 Start-ups pro Jahr finanziell unterstützt, heute sind es 70-100 Unternehmen. Bisher wurden Start-ups im Wert von 73 Mrd. US-Dollar verkauft und zur weiteren Finanzierung von neuen Start-ups eingesetzt.
  7. K: Kammer in Form einer zweistaatlichen Handelskammer, die den wirtschaftlichen Austausch initiiert. 60% der Dax-Unternehmen kaufen in Israel ein. Die mittelständische Industrie Deutschlands wird für Aktivitäten in Israel umworben, da ihre technischen Entwicklungen hier einen sehr guten Ruf genießen. Made in Germany war bis 1933 in Israel ein so beliebtes Qualitätsmerkmal wie Persil oder Aspirin. Erst Erich Kästners Erzählung ‚Pünktchen und Anton‘ wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Produkt aus Berlin in Israel anerkannt. Heutzutage werden von einem israelischen Unternehmen Brillen in China gefertigt und unter dem Markenzeichen „Caroline Lemke Berlin“ vermarktet. In der AHK, der „Botschaft der Unternehmen“, arbeiten durchweg zwei- bis dreisprachige Menschen mit vielfältiger Kompetenz. Sie wird durch Mittel des BMWi (35%), Dienstleistungen (65%) und in geringer Höhe durch freiwillige Mitgliedsbeiträge finanziert. Die Dienstleistungen bestehen aus Beratungen von Unternehmensverbänden und mittelständischer Unternehmen.

(Klaus Peter Bubel)

Gespräch mit Arye Sharuz Shalicar

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Am Sonntagabend treffen wir eine besondere Persönlichkeit. Der Mann heißt Arye Sharuz Shalicar. Persische Wurzeln hat er, deutsch und israelisch geprägt sei er, so stellt er sich uns im Tel Aviver Hotel „Ruth Daniel“ vor. Was für eine interessante Erscheinung dieser Mann doch ist! Der Spannungsbogen seines Lebens ist schnell umrissen: vom Sprayer im Wedding zum Pressesprecher der israelischen Armee. Arye Sharuz Shalicar kennt sich ganz gut damit aus, zwischen allen Stühlen zu sitzen. Sein jüngstes Buch „Der neu-deutsche Antisemit“ ist eine Auseinandersetzung mit dem aufflammenden Antisemitismus in Deutschland – knapp 75 Jahre nach dem Ende der Schoah. Jochen Feilcke,  Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) Berlin-Brandenburg, hat uns sein Buch noch vor der Reise an die Hand gegeben!

Geboren wurde Arye Sharuz Shalicar 1977 in Göttingen. Deutschland sollte eigentlich nur ein Zwischenstopp auf seinem Weg nach Kanada, auf der Flucht vor dem Judenhass im Iran, sein. Doch dann schlugen die Shalicars Wurzeln in Deutschland. Bis er dreizehn Jahre alt ist, wächst Arye in Spandau auf. Religion spielt in seinem Leben in Berlin zunächst keine Rolle. Als Aryes Mutter die Chance hat, im Wedding eine kleine Änderungsschneiderei zu übernehmen, zieht seine Familie in einen unserer Berliner Problemkieze, nach Neukölln. Eine völlig neue Welt sei das für ihn gewesen, erklärt uns Shalicar an diesem Abend. Plötzlich hätten Nationalität und ethnische Herkunft, Rasse und Religion eine zentrale Rolle gespielt. Fast alle seiner neuen Freunde stammten aus muslimischen Migrantenfamilien: Es sind Türken, Libanesen, Kurden, Araber; Neukölln und Wedding eben. Sie alle denken, Arye, mit seinen schwarzen Haaren und dem dunklen Teint, sei einer von ihnen: ein Muslim, was denn sonst. Alles ändert sich, als Arye einen Fehler macht. Viele der Kiezbewohner tragen Goldketten. Arye legt die Goldkette mit dem Davidstern an, die ihm seine Großmutter geschenkt hat. Als ihn drei arabisch sprechende Männer in der U-Bahn deswegen als „Scheißjude“ anpöbeln, fragt er bei seinen säkularen Eltern nach.

Was sein Vater damals sagte, hatte Shalicar bereits 2010 in seinem Buch „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“ erzählt: „Eins musst du wissen und dein ganzes Leben zumindest im Hinterkopf behalten: Du bist ein Jude, und die ganze Welt hasst dich!“ Arye will seine Herkunft nicht verleugnen. Doch beste Freunde unter seinen muslimischen Kumpels werden nun von einem Tag auf den anderen zu Feinden, als sie erfahren, dass Arye Jude ist. In den besagten Stadtteilen von Berlin wird er als Jude verprügelt.

Dann, als Jude, bei der deutschen Bundeswehr: Eine völlig neue Erfahrung. Er fühlt sich wohl, aber ganz zu Hause fühlt er sich nicht. Immer intensiver setzt er sich mit seiner jüdischen Herkunft auseinander. 2001 macht er „Allija“, d.h. er wandert in Israel ein, in „das einzige Land, in dem Juden als Juden sicher leben können“. Arye macht seinen Pflichtdienst bei der israelischen Armee, studiert in Jerusalem Internationale Beziehungen und schließt mit Prädikat ab. Er sammelt Medienerfahrungen, u.a. im Nahoststudio der ARD. 2009 zieht ihn erneut die israelische IDF-Armee ein, in der er zum offiziellen Pressesprecher und zum Major aufsteigt. 2017 wechselt Shalicar dann ins Ministerium für Nachrichtendienste, wo er der israelischen Regierung zuarbeitet.

Als sich Shalicar beruflich viel in den digitalen Netzwerken umtut, bekommt er eine Menge Hass mit. Vieles von dem, was ihm auf Facebook, Whatsapp & Co. begegnet, ist in sein Buch „Der neu-deutsche Antisemit“ eingeflossen. Shalicar beschreibt den muslimischen, religiös begründeten Judenhass, den er am eigenen Leib erfahren hat. Der religiös begründete Judenhass, der auch als Antijudaismus bezeichnet wird, präsentiert sich z.B. auf dem Al-Quds-Marsch, eine der widerlichsten Versammlungen, die es in Berlin gibt.

Er beschreibt zudem den rechtsradikalen, antisemitisch-rassistisch begründeten Judenhass, der gegenwärtig in Deutschland erschreckend aufflammt und sich laut und gewalttätig in Wort und Tat zurückmeldet.

Sein Buch setzt sich ebenso mit dem linksradikalen, politisch – antiisraelisch begründeten Judenhass, auseinander – also der Ideologie derjenigen Menschen, die ihren Judenhass als „Israel-Kritik“ verkleiden. Dieser Judenhass kommt oft als Antiisraelismus, z.B. der linken BDS – Kampagne, daher.

Fazit: Drei sinnverwandte Begriffe und Ideologien, Antijudaismus – Antisemitismus – Antiisraelismus, die letztlich synonym zu verwenden sind, denn immer geht es um Judenhass.

Über die Verkürzung des Nahostkonfliktes auf den Israel-Palästina-Konflikt und über den Judenhass der muslimischen Diktatur im Iran lernen wir viel an diesem besonderen Abend.

Mit seinen eigenen Kindern spricht Shalicar deutsch – in berlinischem Dialekt. Auch sein Hebräisch sei noch immer nicht akzentfrei, sagt er von sich. Jedenfalls: In Arye steckt jede Menge Israel und Deutschland. Israel und der Nahe Osten seien ihm manchmal einfach zu hart – sagt einer, der in Berlin groß wurde. „Gehören Juden heute zu Deutschland?“, fragt ihn ein Tourist im Hotel etwas blauäugig. Seine Bilanz ist ein nüchternes „Ja, aber“. Das Aber scheint wieder größer zu werden. Um Himmels Willen! Gott Jahwe, Gott Israels, der Eine und Einzige, den Christen als den Dreieinen Gott bekennen, bewahre Dein Volk Israel vor den alten Antisemiten und neuen Judenhassern dieser Tage! Shalom al Israel! Friede und Segen für Israel!

(Ralf Musold)

Montag, 10.02.2020 – 8. Tag

Treffen mit der deutschen Botschafterin Dr. Susanne Wasum-Rainer. Rückflug nach Berlin

Auch der letzte Tag war – wie die bereits erlebten – sehr inhaltsreich, gab es doch vor dem Rückflug noch einen sehr wichtigen Termin: das Treffen mit der deutschen Botschafterin in Israel, Frau Dr. Susanne Wasum-Rainer. Wegen der Terminplanung am Vormittag, hat sich die Gruppe um 07.00 Uhr zum Frühstück getroffen, hatte abends und morgens die Zeit zum Kofferpacken genutzt, um in trauter Runde auch wieder etwas Zeit zum gemeinsamen Erfahrungsaustausch oder allgemeinen Gesprächen zu finden.

Um 08.15 Uhr stand der Bus am Hotel, und um 08.30 Uhr konnte die Fahrt planmäßig zur Deutschen Botschaft erfolgen – die Fahrt führte uns auch noch einmal über den am Vortag begangenen „Rothschild Boulevard“ und an der „Bauhaus-Architektur“ vorbei. Um 09.15 Uhr begrüßte uns Ihre Exzellenz, die Botschafterin im Briefing-Room der Botschaft, vorher kurz anmoderiert vom Reiseleiter, unserem Jochen Feilcke.

© privat

Die deutsche Botschafterin Dr. Susanne Wasum-Rainer ist seit 2018 im Amt, war vorher schon häufig im Land und kennt Israel seit 40 Jahren. Frau Botschafterin machte kurz Ausführungen zu ihrer Person, dass sie seit September 2018 hier ihren Dienst versähe, schon ein paar Mal hier gewesen sei und Israel seit gut 40 Jahren kenne. Für sie sei es etwas Besonderes, in Israel zu dienen, und sie möchte dazu beitragen, dass die deutsch-israelischen Beziehungen sich weiterhin ganz außerordentlich und immer intensiver werdend entwickeln. Diese Entwicklung ist auch daran abzulesen, dass Deutschland zum diesjährigen Gedenktag der Befreiung des KZ Auschwitz-Birkenau nicht nur eingeladen war, sondern der deutsche Bundespräsident auch eine viel beachtete Rede halten konnte.

In ihrer Rede ging sie auf folgende Punkte ein:

Zwischen Israel und Deutschland bestehen seit 55 Jahren diplomatische Beziehungen, Deutschland ist dabei zu einem der engsten Partner geworden. Dabei sind zwei Faktoren von besonderer Bedeutung:

  • die Wirtschaft mit synergetischen Effekten in der Automobilindustrie – Israel beteiligt sich hier insbesondere im technischen Bereich, ist aber auch in der Medizintechnologie sowie im Bereich der Cyber Security sehr intensiv einbezogen
  • die militärische Zusammenarbeit, die von einigen Parteien nicht so gern gesehen wird, gleichwohl aber einen Pfeiler in dieser Zusammenarbeit bildet und sich als extrem eng darstellt.

So werden z.B. Bundeswehroffiziere hier an den (Abwehr-) Drohnen ausgebildet, die Israel an Deutschland verkaufen wird – in der Zusammenarbeit fällt dabei das überaus freundschaftliche Verhalten zwischen den israelischen und deutschen Soldaten auf, was vor dem Hintergrund unserer Geschichte besondere Bedeutung hat.

Die Intensität und Qualität der Beziehungen kann und darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es durchaus unterschiedliche  Auffassungen z.B. im Umgang mit dem Iran gibt. Hier wünscht sich Israel ein mehr offensives und eindeutigeres Vorgehen der Bundesregierung – dies gilt auch für das Wahrnehmen eines erstarkenden Antisemitismus sowie für das Verhalten gegenüber der AFD in Deutschland. Auch im Zusammenhang mit dem von den USA vorgelegten Friedensplan sind die Meinungen sehr unterschiedlich – hier sind die Grundlagen bei den Deutschen im „Nie wieder Täter“ und bei den Israelis „Nie wieder Opfer“ zu finden. So wird dieser Plan wohl kaum umsetzbar sein, es gibt eine große Zurückhaltung bei den beobachtenden Parteien – auch deshalb, weil letztlich ein Gesprächspartner (Palästina) fehlte. Gleichwohl können/werden Teile des Planes angegangen – von Bedeutung sind dabei auch die am 02. März 2020 stattfindenden Wahlen in Israel.

Frau Botschafterin beschloss ihre Ausführungen damit, dass sie ihr Bemühen zur Stellung der EU in dieser Sache verdeutlichte, die seit über 50 Jahren den größten Friedensprozess erlebt. Gleichwohl wird dies von Israel mit großer Sensibilität gesehen, das Land macht sich Sorgen wegen der von ihnen teilweise nicht zu akzeptierenden Resolutionen durch das Europäische Parlament. Israel versucht daher, möglichst mit nur einzelnen Staaten der EU zusammenzuarbeiten und dadurch insgesamt eine andere Reaktion zur Sache Israel herbeizuführen – dies ist aber nicht im Sinne der Gemeinsamkeit der EU.

Im Anschluss brachten sich die Gruppenteilnehmer mit Fragen und Diskussionsbeiträgen ein, u.a.:

Frage:  Könnte/sollte Deutschland nicht die Spitze der Bewegung zur Solidarität mit Israel übernehmen, also: mehr tun?

Antwort: Deutschland steht in diesem Konflikt nicht allein, ist Teil der EU und kann deshalb nicht für sich entscheiden – die EU vertritt den Ansatz, gute Beziehungen mit Israel, aber auch mit Palästina zu haben. Dieses diplomatische Verfahren macht die Diskussion in Israel nicht einfacher.

Frage: Kann man in diesem Zusammenhang „mit Feinden verhandeln“?

Antwort: Eindeutig keine Verhandlungen mit der terroristischen Hamas, aber es ist daneben auch zu beachten, dass es Menschen in Familien trifft, Kinder ohne Schule, die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern bei denen, die nicht unbedingt Teil des terroristischen Ansatzes sind. Es muss aber auch verstanden werden, dass die Annexion des Westjordanlandes zur Destabilisierung Jordaniens insgesamt führen kann – dies ist vor dem Hintergrund der „Sicherheit“ nicht unbedingt erforderlich.

Frau Botschafterin war angetan von dem Interesse und den kenntnisreichen Fragen der Teilnehmer, so dass sie sogar den eigentlich geplanten Zeitkorridor (sie hätte ab 10.00 Uhr eine Besprechung gehabt) von sich aus verlängerte, was ihr auch zustimmenden Applaus einbrachte. Zum Ende des Termins wurde ihr ein Präsent der Teilnehmer überreicht, ein „Buddy-Bear“, der in ihrem Büro die Stadt Berlin vertreten und ihr ein wenig „Heimat“, aber auch Erinnerung an unsere Gruppe vermitteln kann. Ein Gruppenfoto im Eingangsbereich rundete diesen Termin ab und die Gruppe entschied sich im Rahmen des Programmpunktes „zur freien Verfügung“ zunächst dafür, dass sich ein Teil in die „Shopping Mall“ und ein anderer Teil ins nahegelegene „Museum of Modern Art“ begab.

Wieder zusammen, sind wir zum „Karmel-Markt“ in Tel Aviv gefahren und haben dann im Bus die Gelegenheit genutzt, in hoher Anerkennung ihrer Leistungen und ihres damit verbundenen Engagements sowohl das „Trinkgeld“ an Naomi und den Kraftfahrer Adam, als auch ein Buchpräsent an Naomi zu überreichen.

Am Flughafen von Tel Aviv „Ben Gurion“ eingetroffen, hat uns Naomi bis zum Einchecken begleitet und damit auch deutlich gemacht, wie schön diese Zeit mit der Gruppe auch für sie war. Verständlich, dass der jeweilige Abschied sehr persönlich, aber auch von traurigem Gefühl begleitet war – sie hat es offensichtlich genossen, von allen noch einmal umarmt zu werden.

Nach einem insgesamt doch sehr ruhigen Flug in Schönefeld um 21.05 Uhr gelandet, hatten die Gruppenmitglieder beim Warten auf das Gepäck noch einmal die Gelegenheit, sich voneinander zu verabschieden – auch sehr persönlich und immer mit den Worten: „Wir bleiben in Kontakt – schön war’s – bis zum nächsten Jahr in Jerusalem!“)

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