Grundsatzerklärung zur Bekämpfung des Antisemitismus

Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) in Zusammenarbeit mit der WerteInitiative – jüdisch-deutsche Positionen (WI):

Fünf Punkte zu einer nachhaltigen Strategie

1. Betroffene ernst nehmen

Wer Antisemitismus am eigenen Leib erfährt, etwa durch Beleidigungen, Bedrohungen oder Gewalt, der weiß, wovon die Rede ist. Es ist Zeit, die Erfahrung der Betroffenen angemessen in die Lagebeurteilungen einzubeziehen.

2. Die Arbeitsdefinition »Antisemitismus« der IHRA anwenden!

Gemäß der Arbeitsdefinition „Antisemitismus“ der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA) sind feindselige Haltungen bis hin zum Hass gegen Personen, Einrichtungen und Organisationen, die als jüdisch oder mit dem Judentum verbunden wahrgenommen werden, als Antisemitismus zu betrachten. Darüber hinaus kann auch Feindseligkeit gegenüber dem Staat Israel als jüdisches Kollektiv antisemitisch sein.

3. Antisemitismus greift das ganze freiheitlich-demokratische Gemeinwesen an

Die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus ist der Lackmustest für die deutsche Demokratie nach der Shoah. Antisemitismus ist immer auch ein Angriff auf die Unantastbarkeit der Menschenwürde sowie auf die Fundamente des freiheitlich-demokratische Gemeinwesens.

4. Antisemitismus ist keine beliebige Diskriminierungsform

Antisemitismus ist anderen Formen von Hass gegen Gruppen oft ähnlich, aber nicht gleich. Keine Form von vorurteilsmotiviertem Hass und keine Diskriminierung ist hinnehmbar. Bei der Prävention und Intervention gegen Antisemitismus müssen aber die Besonderheiten der über Jahrhunderte ausgeprägten Judenfeindschaft berücksichtigt werden. Antisemitismus lässt sich nicht erfolgreich als bloße Unterkategorie von Rassismus bekämpfen. Schon gar nicht lassen sich – auch wenn diese drei Formen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gleichermaßen unvereinbar mit der Menschenwürde sowie mit den Menschenrechten und deshalb nicht hinnehmbar sind – Antisemitismus, Rassismus und Muslimfeindlichkeit einfach gleichsetzen.

5. Für eine aufgeklärt-humanistische und demokratische Kultur des Zusammenlebens

Der beste Schutz gegen Antisemitismus ist eine den Grundwerten des freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens gemäße Kultur des Zusammenlebens. Das freiheitlich-demokratische Gemeinwesen wird nicht nur durch Verfassungs- und Gesetzestexte zusammengehalten. Sein Zusammenhalt lebt auch von Symbolen, Ritualen und Konventionen, in denen die fundamentalen Werte und Normen der freiheitlichen Demokratie Ausdruck finden.

 

Was jetzt getan werden muss

Die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus bedarf der Auseinandersetzung mit allen seinen Erscheinungsformen, muss die Perspektive, Erfahrungen und Expertise der Betroffenen in eigener Sache ernst nehmen und zugleich den Antisemitismus als Angriff auf das ganze freiheitlich-demokratische Gemeinwesen als solches abwehren. Als Maßstab für die Zusammenarbeit staatlicher Stellen mit nichtstaatlichen Akteuren ist dabei das vorbehaltlose Bekenntnis zu den allgemeinen und unteilbaren Menschenrechten im Sinne des Grundgesetzes und der EU-Grundrechtecharta, zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und zum Gewaltmonopol des säkularen Rechtsstaates konsequent anzuwenden.

 

Forderungen

Der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland sowie alle staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure auf Bundes- und Landesebene sind zu Folgendem aufgefordert:

  • Die Auseinandersetzung mit allen Erscheinungsformen des Antisemitismus in den Demokratie-Förderprogrammen sowie der Evaluation der geförderten Maßnahmen und Projekte muss gestärkt werden.
  • Die Erfahrung der von Antisemitismus Betroffenen ist bei der Lagebeurteilung, bei der Präventionsarbeit und Demokratieförderung angemessen zu berücksichtigen.
  • Von den staatlichen Behörden des Bundes und der Länder sowie von staatlich geförderten freien Trägern ist als verbindliches Förderkriterium eine ausdrückliche Stellungnahme gegen alle Formen des Antisemitismus – einschließlich antisemitischer Boykott-Kampagnen (wie „Boycott, Divestment and Sanctions“/BDS) – nach der Arbeitsdefinition „Antisemitismus“ der IHRA einzufordern.
  • Die Fähigkeit zur Wahrnehmung und Einordnung aller Erscheinungsformen von Antisemitismus (nach der Arbeitsdefinition der IHRA) muss bei Polizei und Justiz, in Schulen und der Jugendarbeit sowie in der Flüchtlingshilfe und Integrationsförderung verbessert werden.
  • Die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus muss so gestaltet werden, dass sie dem Umstand gerecht wird, dass es um ein mit anderen Erscheinungsformen verbundenes, aber besonderes Phänomen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit geht, welches nichtsdestoweniger das freiheitlich-demokratische Gemeinwesen insgesamt angreift.
  • Die Bereitschaft, in diesem Sinne zu einer gruppenübergreifenden Kultur des gesellschaftlichen Miteinanders im freiheitlich-demokratischen Gemeinwesen beizutragen, muss als ein zentrales Kriterium für die Zusammenarbeit eingefordert werden – nicht zuletzt, wenn es um die Zusammenarbeit mit religiös-weltanschaulichen Gemeinschaften und Organisationen sowie um die Etablierung von öffentlichen akademischen Ausbildungseinrichtungen für Islamische Theologie geht.
  • In Themenbereichen, die – wie z. B. das Geschehen auf den Finanzmärkten oder Ereignisse im Nahen Osten – in besonderer Weise Gegenstand antisemitischer Stereotypisierung und Propaganda sind, ist sachlich angemessene Sensibilität und Sorgfalt bei der Berichterstattung und bei der Formulierung von Stellungnahmen zu gewährleisten. Dies gilt namentlich für Verantwortliche in den Medien sowie Repräsentantinnen und Repräsentanten des freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens der Bundesrepublik Deutschland.

 

Erstunterzeichner*innen:

Amadeu Antonio Stiftung,
Arbeitskreis jüdischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten Berlin und Brandenburg,
AVIVA-Berlin (Online-Frauenmagazin),
Volker Beck,
B’nai B’rith Berlin Raoul Wallenberg Loge,
Child Survivors Deutschland e.V. – Überlebende Kinder der Shoah,
Deutsche Sektion der internationalen Wissenschaftlervereinigung Scholars for Peace in the Middle East (SPME-Germany e.V.),
Deutsch-Israelische Gesellschaft Berlin und Brandenburg e.V.,
Deutsch-Israelische Gesellschaft Bremen/Unterweser e.V.,
DEVI e.V. – Verein für Demokratie und Vielfalt in Schule und beruflicher Bildung,
„DIAMANT“ Sozialer Integrationsverein für Zuwanderer des Landkreises Barnim e.V.,
Ephraim Veitel Stiftung,
Günther Jikeli (Antisemitismusforscher, Gastprofessor der Indiana University),
Andrej Hermlin (Musiker),
Honestly Concerned e.V.,
Israelitische Synagogen-Gemeinde (Adass Jisroel) zu Berlin,
Jüdische Gemeinde Braunschweig K.d.ö.R.,
Jüdische Gemeinde Chemnitz,
Jüdische Gemeinde Göttingen e.V.,
Jüdische Gemeinde zu Halle (Saale) K.d.ö.R.,
Jüdische Gemeinde Landkreis Barnim e.V.,
Diana Sandler, Vorsitzende des Zentrums gegen Antisemitismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit der Jüdischen Gemeinde Landkreis Barnim e.V.,
Jüdische Gemeinde Marburg,
Jüdische Gemeinde Pinneberg,
Jüdische Kultusgemeinde Heidelberg K.d.ö.R.,
Jüdische Landesgemeinde Thüringen K.d.ö.R.,
Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD),
JuMu Deutschland gGmbH,
Landesverband Jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt K.d.ö.R.,
Leah Carola Czollek, Institut Social Justice und Diversity,
Liberale Jüdische Gemeinde Hannover K.d.ö.R.,
Liberale Jüdische Gemeinde Wolfsburg – Region Braunschweig e.V.,
Mideast Freedom Forum Berlin e.V.,
Migrations- und Integrationsrat Land Brandenburg (MIR) e.V.,
Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam,
Benno Simoni (Vorsitzender der Synagogengemeinde Bet Haskala),
Unabhängige Synagogengemeinde Berlin – Bet Haskala e.V.,
WIZO Berlin e.V.,
Wolfgang Seibert (Vorsteher der jüdischen Gemeinde Pinneberg)

Quelle: https://jfda.de/blog/2018/07/09/grundsatzerklaerung/

Share this post