Die Parlamentswahl in Israel und ihr Einfluß auf den Friedensprozess

Am 16.02.2009 nahm Eldad Beck in der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund eine erste Auswertung vor.

Fotos und Einführung von Meggie Jahn

Eldad Beck und Jochen Feilcke im Gespräch.
Eldad Beck und Jochen Feilcke im Gespräch.

Nicht zum ersten Mal war der israelische Europakorrespondent von Yedioth Achronot mit Sitz in Berlin zu Gast bei der DIG. In diesem Jahr konnte mit der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund in Berlin-Mitte ein besonders attraktiver und gastfreundlicher Ort gefunden werden.

Verwaltungschef Frank Smeddinek begrüßte im Namen des Hauses die Gäste. In der Diskussion fragte eine Zuhörerin nach den jungen Israelis in der Politik, die es durchaus gebe, so Beck, denen man in der gegebenen Situation aber nicht zutraue, die dringendsten Probleme zu lösen.
Verwaltungschef Frank Smeddinek begrüßte im Namen des Hauses die Gäste. In der Diskussion fragte eine Zuhörerin nach den jungen Israelis in der Politik, die es durchaus gebe, so Beck, denen man in der gegebenen Situation aber nicht zutraue, die dringendsten Probleme zu lösen.

Eldad Beck beeindruckte die rund 200 Besucher nicht nur durch seinen ironisch-spritzigen Vortrag, sondern auch durch seine schonungslos offene Darlegung der möglichen Koalitionskonstellationen in Israel. Dabei geriet manche Einschätzung der bekannten Politiker ins Wanken. Erfreulich dann das Lob für die deutsche Bundeskanzlerin und Außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier. Beide zeigten sich in ihrer Haltung gegenüber Israel „hochverantwortlich und nicht populistisch“. Dr. Angela Merkel zollte Beck zudem höchste Anerkennung, da sie trotz des Wahljahres die richtigen Worte zum Umgang des Papstes mit dem Holocaust-Leugner Williamsen gefunden hatte. Damit habe sie sich so verhalten, wie er es „als Jude und Israeli“ von einer deutschen Regierung erwarte.18

Für den kleinen Empfang mit Wein und Brezeln möchten wir uns auch an dieser Stelle bei der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund herzlich bedanken.

Die Parlamentswahl in Israel und deren Einfluss auf den Friedensprozess

„In der Nacht nach der Wahl zur 18. Knesset musste ich mir überlegen, wie „deutsch“ die israelische Politik geworden ist. Vielleicht können Sie sich an den Abend der letzten Wahl zum Bundestag erinnern: ein etwas verwirrter, sehr aggressiver Bundeskanzler, der gerade die Wahl verloren hatte, betont, dass e r der eigentliche Sieger der Wahl sei, weil er hinter sich eine größere linke Mehrheit hatte, obwohl er mit dieser Mehrheit nichts anfangen konnte.

„Lassen wir die Kirche im Dorf“, empfahl damals Bundeskanzler a.D., Gerhard Schröder, seiner Rivalin, Dr. Angela Merkel. Seitdem ist die Kirche tatsächlich im Dorf geblieben, Frau Merkel wurde zur ersten Bundeskanzlerin geworden und Herr Schröder – unter anderem dank der Universität von Damaskus – ist inzwischen auch Doktor, auf jeden Fall Ehrendoktor, u.a. wegen seiner positiven Haltung gegenüber der arabischen Welt.

Benjamin Netanyahu beschäftigt sich mit Kirchen nicht unbedingt. Er wird sehr wahrscheinlich in absehbarer Zukunft kein Ehrendoktorat von der Damaskus-Uni bekommen und auch Teheran nicht besichtigen können. Immerhin, ganz à la Schröder, versucht Netanyahu seit einer Woche eine überraschende Wahlniederlage in einen Sieg umzuwandeln. Sein Argument: er habe einen größeren politischen Block hinter sich, das heißt eine Mehrheit mit der er ohne Schwierigkeiten eine neue Regierung bilden könne.

Das Problem „Männer und Größe“ scheint nicht mit dem Alter und dem Wissen kleiner zu werden. Wie auch immer, Netanyahus Rivalin, Tzipi Livni, die gegen alle Wahrscheinlichkeiten einen kleinen winzigen Vorsprung erreicht hat, erklärte noch vorgestern, kämpferisch: „Was gibt es da nicht zu verstehen? 28 sind mehr als 27“, und damit sind natürlich Knessetmandate gemeint. Livnis männliche Entourage geht vorsichtiger mit solchen Zahlen um. Dort wird behauptet: „Während des Wahlkampfes haben wir sehr deutlich gesagt: „Entweder Tzipi oder Bibi“, und nicht „Tzippi und Bibi“. Das, was eigentlich wie eine neue Kindersprache klingt, bedeutet auf Deutsch übersetzt: „Es wird keine große rotierende Koalition und keine große Koalition mit Netanyahu als Premier geben. Entweder leiten wir- Kadima – die nächste Regierung oder wir gehen in die Opposition“.

Es gibt eine bestimmte Ähnlichkeit zwischen Bundeskanzlerin Merkel und die Kadima-Chefin, Livni. Beide Politikerinnen mussten sich einen Weg in einem politischen Dschungel bahnen, der von sehr feindlichen Männern beherrscht wird. Die deutsche politische Szene hat weniger Generäle anzubieten als die israelische. Aber auch ohne militärische Karriere haben die deutschen Politiker es genauso schwer mit der Idee, von einer Frau geführt zu werden, wie ihre Kollegen aus Israel.

Livni, wie Bundeskanzlerin Merkel, ist eine Frau, die an Prinzipen glaubt und sich daran hält. zugleich – um ihre Ziele zu erreichen – kann Livni sich sehr flexibel zeigen, viel flexibler als Merkel.

Nach der Veröffentlichung des Winograd-Berichts in Sachen zweiter Libanon-Krieg, forderte Livni den Rücktritt von Premier Ehud Olmert, blieb aber in seinem Kabinett, als er diese Forderung mit seiner bekannten Arroganz vom Tisch räumte. Livni stellte sich als die Jeanne D´arc des Kampfes gegen die Korruption dar. Sie hatte aber mit zwei der korruptesten Politikern Israels, Ariel Sharon und Ehud Olmert, die Kadima-Partei gegründet, und mit letzterem Israel drei Jahre lang regiert.

Rechtfertigen bestimmte Ziele alle Mittel? Und wenn ja, welche Ziele hat Tzipi Livni?

Ein markanter Unterschied existiert immerhin zwischen Livni und Merkel. Die Bundeskanzlerin hat nie ihre politischen Kämpfe mit den Slogan „Ich bin eine Frau“ geführt. Livni wollte es am Anfang auch nicht machen. Aber in der letzen Woche vor der Wahl, als ihre Berater in den Umfragen sahen, dass eine Mehrheit der unentschiedenen Wähler weiblich war, warf Livni ihren politischen Gegnern „Chauvinismus“ vor und gewann damit die Stimmen vieler Frauen. Jedes Prinzip hat einen Preis – und manchmal ist es gut so, z. B. wenn es um die Position der Frauen in einer Gesellschaft geht.

Die Frauen in Israel haben auf jeden Fall in der letzten Wahl ihre Position verbessert: mit einer Rekordzahl von 21 Knesset-Mandaten ist das israelische Parlament weiblich wie noch nie zuvor. Zum ersten mal wurde sogar eine arabisch-israelische Frau auf eine arabische Liste zur Knesset gewählt. Die allererste arabisch-israelische Abgeordnete wurde schon 1999 auf der Liste von Meretz – politisch angesiedelt links von der Arbeitspartei – gewählt.

Auch wenn Livnis erstaunlicher Erfolg durch ein feministisches Votum gesichert wurde, reflektiert dieses Ergebnis eher eine „Anti-Bewegung“ der israelischen Wählerschaft. Viele haben Livni ihre Stimme gegeben, weil sie nicht wollten, dass Netanyahu gewinnt. Diese Anti-Netanyahu-Mobilisierung ist der Hauptgrund zum Abstieg der linken Parteien in Israel, die Arbeitspartei und die „Neue Linke“ Meretz Partei. Diese zwei Parteien, die auf unterschiedliche Weise ihre traditionelle Wählerschaft verraten haben, wurden jetzt von ihren Wählern verraten, um einen klaren Sieg von Netanyahu zu verhindern. Sogar in den Kibbutzim, Hochburg beider Linksparteien, hat Kadima gewonnen. Livni hat 31.1% der Stimmen der Kibbutznikim erhalten. Die Arbeitspartei hat nur 30.6% bekommen. Meretz, in der inzwischen nur der sozialistische Mapam-Komponent geblieben ist, gewann nur 17.7% der Stimmen in den Kibbutzim – fast genauso viele Stimmen wie alle Rechtsparteien zusammen.

Was ist dann mit den Linken in Israel passiert?

Fast alle Medien in Deutschland und anderswo auf der Welt berichteten nach der Wahl von einem „Rechtsrutsch“ der Israelis. Es klang – wieder – wie ein Vorwurf. Ein automatischer Vorwurf. Die Berliner Zeitung hat schon zwei Tage nach der Wahl den folgenden Aufmacher gehabt: „Sorge um Israels Friedenswillen“.

„Der Angst-Premier“, versprach uns ihrerseits die „Süddeutsche Zeitung“ im Bezug auf Benjamin Netanyahu, und erklärte: „Eine Wahl des Schreckens ließ Israel nach rechts rücken und bescherte dem Likud von Netanjahu einen Aufschwung. Jetzt droht eine Regierung der Angst“. Und die Experten dieser Zeitung erschrecken ihre Leserschaft weiter: „Netanjahu zeichnet eine schwarze Zukunft. In ihr gibt es Iran, Hamas und Hisbollah, die Israel auslöschen wollen. Netanjahu mobilisierte damit die Ur-Ängste der jüdischen Israelis, die aus dem Holocaust die Lehre gezogen haben sich zu verteidigen. In Netanjahus Welt haben Palästinenser keinen Platz. Sie wollen entweder Israel vernichten und können allenfalls durch ökonomische Lockungen vom Terror abgebracht werden“.

Ich muss zugeben, seitdem ich diese tiefe und seriöse Analyse der „Süddeutschen“ gelesen habe, kann ich viel besser schlafen. Nach allem – Iran, Hamas, Hisbollah sind alle Erfindungen und Fantasien des Angstmachers Netanyahu. Es gibt kein iranisches Atomprogramm. Die Hamas ruft nicht zur Zerstörung Israels auf und hat nie Israel angegriffen. Die Hisbollah sammelt Feuerwerke und keine Mittel- und Langstrecken-Raketen, um einen baldigen Frieden mit Israel feiern zu können, der jetzt aber wegen der Wahl der Israelis nicht mehr möglich ist.

Warum sind eigentlich diese Israelis solche Friedenszerstörer? Wieso haben sie bis jetzt noch nicht verstanden, dass sie Uri Avneri als Premier brauchen und wenn er schon zu alt für diesen Posten ist, dann sollte vielleicht Felicia Langer – eine Frau – diesen Job genauso gut machen?

Mein Vortrag heute Abend hat den Titel: „Die Wahl in Israel und deren Einfluss auf den Friedensprozess“. Eigentlich hätte der Titel besser heißen müssen: „Der Friedensprozess und dessen Einfluss auf die israelische Wahl“. Denn nur wenige Leute stellen sich die wichtige Frage: Wieso haben die Israelis gewählt, wie sie gewählt haben. Erneut werden die Israelis als radikale, religiöse Kriegstreiber dargestellt, die kein Interesse an Frieden haben. Die Frage, an welchen Frieden sollten die Israelis überhaupt glauben, nachdem sie in den letzten 10 Jahren drei lange, furchtbare Kriege erlebt haben, scheint oberflächlich und unwichtig zu sein. Nach allem, was alle wissen: Sharon hat die zweite Intifada provoziert, Israel hat 2006 die Entführung ihrer Soldaten an der libanesischen Grenze insziniert, um die Hisbollah angreifen zu können, und jetzt wiederholte sich, fast, dieses Szenario mit der Hamas im Gaza-Streifen. Es ist ganz klar und selbstverständlich, dass der Gaza-Krieg in Wirklichkeit nur Teil des Wahlkampfes in Israel war. So kann sich jetzt Verteidigungsminister Ehud Barak auf die tollen Ergebnisse seiner Arbeitspartei in der Wahl freuen. Diese Partei hat noch nie so wenige Stimmen bekommen.

Nach der blutigsten Dekade seiner Geschichte, in der alle möglichen Friedensillusionen ruiniert wurden, hätte man tatsächlich einen Rechtsrutsch in Israel erwarten können. Das ist aber nicht passiert. Wie schon so oft in der Vergangenheit haben die Israelis mit großen Verantwortung ihre Wahl getroffen und der Welt wieder gezeigt, dass trotz ununterbrochenen Leids, Terrors und Enttäuschung sie noch bereit sind, auf eine Änderung zu hoffen. Es ist Heute aber eine realistische Hoffnung. Es gibt in Israel keinen Rechtsrutsch. Es gibt in Israel ein Erwachen.

Die Linksparteien wurden diesmal nicht nur dafür bestraft, dass sie ihre eigenen Prinzipien verkauft haben, sondern auch dafür, dass sie mit den neuen nahöstlichen Realitäten nicht mehr zu Recht kommen. Die Israelis glauben nicht mehr an einen Frieden, weil sie keinen möglichen Frieden sehen. Sie glauben auch nicht an einem Krieg. Sie suchen ein Arrangement.

Baraks Arbeitspartei hat schon vor Jahren ihre ideologischen Werte verloren, um an der Macht bleiben zu können, ob mit dem von ihr „gehassten“ Ariel Sharon oder mit dem korrupten Ehud Olmert. Barak hat sogar das Überleben von Olmerts Regierung trotz einer desaströsen Kriegsführung im Libanon und polizeilichen Ermittlungen ermöglicht. Die Wähler von Baraks Partei waren sehr unzufrieden mit seiner wiederholten Entscheidung, in dieser Regierung zu bleiben, auch als am Ende Barak zum Rücktritt Olmerts beigetragen hatte.

Die Arbeitspartei heißt auf Hebräisch „Mifleget Ha´avoda“. Silvi Keshet, eine scharfe israelische Kolumnistin, sprach aber schon in den 90er Jahren von „Mifleget Ha´avuda“, d. h. „die verlorene Partei“, die für etwas Geld und Macht bereit ist, sich an alle zu verkaufen. Auch als diejenigen die für diese Verlorenheit verantwortlich waren – u.a. Shimon Peres und Haim Ramon – sich der Partei aller Korrupten „Kadima“ angeschlossen hatten – blieb die Arbeitspartei als eine Seltenheit in der Welt der Sozialdemokratie – eine Linkspartei, die von einem Millionär und General geführt wird. Kurz vor der Wahl entschloss sich Barak, seine 350 m2 Wohnung in „Akirov Towers“ im Norden Tel-Avivs zu verkaufen, um sich volksnah zu zeigen. Der verlangte Preis, 10 Millionen Dollar, hat jede Nähe zum Volk, aber auch zu potenziellen Käufern in Zeiten einer globalen Krise, ausgeschlossen.

Die sozial-demokratische Alternative zur reichen Sozial-Demokratie in Israel, Meretz, wollte sich an einen neuen Look adoptieren. Mit der Hilfe vieler Prominenten – von Amos Oz bis zum Fernsehjournalisten Nitzan Horovitz – präsentierte sich diese Partei als „Die neue linke Bewegung“ Israels. Aber das, was als „Stars for Peace“ begonnen hatte, endete eher als „Das Promi Dinner“, anders gesagt – eine Katastrophe. „Die neue Bewegung Meretz“ hat das schlechteste Ergebnis seit der Gründung von Meretz 1992 registriert. Diese Bewegung hat in der kommenden Knesset nur drei Sitze. Genauso viele Sitze hatte „Mapam“ 1988, nachdem sich diese radikal sozialistische Partei von der Arbeitspartei trennte.

Die neue Bewegung hat versucht, alle möglichen Kräfte und Themen der Linken in Israel zu mobilisieren – Klimaschutzaktivisten, Schwule, Friedenskombattanten. Frauen und Araber wurden aber auf der Liste dieser neue Bewegung sehr schlecht platziert, was die Frauen zu Livni brachte und die arabischen Wähler zu den drei arabischen Parteien, die zusammen mehr als 80% der arabischen Stimmen erhielten.

1992, bei der Wahl zur 13. Knesset, haben diese Parteien weniger als 50% der arabischen Stimmen bekommen. Seit dem Oslo Abkommen, das 1993 unterschrieben wurde, ist die Entfremdung der arabischen Bevölkerung Israels gegenüber dem Staat Israel ständig tiefer geworden. Dieses hochproblematische Phänomen, das von der palästinensischen Autonomiebehörde gesteuert wird, hatte letzte Woche starke Konsequenzen für die Wahl der jüdischen Mehrheit.

Wie andere Populisten, in Europa z.B., schafft es Avigdor Lieberman, Leader der „Israel Beitenu“ („Israel ist unser Haus“) Partei, politische Themen zu manipulieren, die unter der politischen Korrektheit verschwiegen werden. Wie das Thema der Loyalität der arabischen Minderheit vis-à-vis des Staates Israel. Damit konnte Liebermann zum dritten Mal seit der Gründung von „Israel Beitenu“ 1999 seine politische Macht verstärken und diese Partei zur Position der drittgrößten Partei des Landes zu bringen. 1999, nach dem Lieberman sich vom Likud und Netanyahu getrennt hatte, bekam seine Partei vier Mandate. 2003 waren es schon sieben Mandate, 2006 11 und letzte Woche 15. Immerhin 15, und nicht 20, wie fast alle Umfragen prophezeiten.

Der 51-jährige Lieberman, der 1978 aus Kischinau, Moldavien, nach Israel immigrierte, genießt ohne Zweifel eine starke Popularität bei den Immigranten aus den GUS-Staaten. Er konnte aber auch bei den jungen Israelis, dank seiner nationalistischen Haltungen, viele Stimmen erhalten. Diese jungen Israelis sind mit den drei Kriegen der letzten 10 Jahre groß und politisch geworden. Sie fühlen sich, zu recht, in ihrer Existenz bedroht. Sie sehen keine rosige Zukunft. Sie glauben an Frieden in den jetzigen Konditionen nicht.

Ist Avigdor Lieberman ein Rechtsradikaler? Bestimmt vertritt Positionen, die als radikal betrachtet werden könnten, wie z. B. seine Vorschläge, den Assuandamm in Ägypten aber auch Teheran zu bombardieren. Er streitet sehr gern und sehr heftig mit den arabischen Knesset-Abgeordneten, wobei deren erklärte Solidarität mit den Feinden Israels, wie die Hamas und die Hisbollah, seine Positionen in den Augen der israelischen jüdischen Öffentlichkeit nur helfen.

Lieberman spricht Klartext über Wahrheiten, die von anderen israelischen Politikern verdrängt werden: die Palästinensierung der arabischen Israelis, die Radikalisierung dieser Minderheit und die Gefahr für die interne Integrität Israels, die durch diese Tendenzen entsteht. Viele israelische Juden sehen es genauso wie er.

Lieberman war in der Vergangenheit mit der rassistischen „Kach“-Partei verbunden. Tzahi Hanegbi, der heute Mitglied von Kadima ist, brachte Lieberman zum Likud. Netanyahu entdeckte dessen organisatorischen Talente und ernannte ihn zum Direktor seines Büros als er Premier war. Aber die dubiosen Arbeitsmethoden von Lieberman zwangen Netanyahu, sich von seinem nicht sehr loyalen Mitarbeiter zu verabschieden.

Für viele Menschen in Israel ist Lieberman vor allem ein Gauner, für den alle Mittel koscher sind, um seine Zwecke zu erreichen. Seit Jahren steht er wegen seiner grauen Kontakte mit Geschäftsmännern in Österreich, Russland, Belarus und sonst wo unter polizeilichen Ermittlungen. Der Verdacht wäre, dass Lieberman politische Macht und Posten genutzt habe, um sich eine unabhängige politische Karriere von anderen finanzieren zu lassen und sich selbst zu bereichern. Man spricht auch von Verbindungen mit dem Kreml und mit ehemaligen KGB-Agenten.

Lieberman betont seinerseits, dass er vom Justiz-Establishment politisch verfolgt wird. Kurz vor der letzten Wahl hat die Polizei einen Durchbruch in den Ermittlungen gegen Lieberman gemeldet. Auch diese Entwicklung konnte Liebermann zu seinen Gunsten wenden, als er sich als Opfer politischer Intrigen darstellte.

Jetzt hält er sehr wahrscheinlich in seiner Hand die Entscheidung über die Frage, wer der nächste israelische Premier sein wird.

Obwohl eine politische Allianz zwischen Netanyahu und Lieberman fast eine sichere Sache scheint, darf man andere Optionen nicht ausschließen. Ideologisch ist Lieberman näher zur Kadima als zum Likud. Lieberman ist bereit, auf Teile von Eretz-Israel zu verzichten, um den jüdischen Charakter Israels zu garantieren. Dafür ist er sogar bereit, Teile vom Staat Israel aufzugeben, d. h. das „Dreieck“ im Hasharon, in dem etwa 200.000 Araber, hauptsächlich Muslime, leben. Lieberman hat in der Vergangenheit seine Bereitschaft erklärt, diese Region gegen dicht bewohnte Siedlungen im Westjordanland mit einer zukünftigen palästinensischen Staat auszutauschen.

Lieberman ist auch gegenüber seiner aus den GUS-Staaten kommenden Wählerschaft zu einem säkularen Programm verpflichtet. Von daher wird es schwierig für ihn sein, in einer Regierung zu sitzen, an der auch die Ultraorthodoxen beteiligt sind.Man muss aber immer mit einer nationalen Notstandsituation rechnen und auch mit taktischen Kalkülen aller Seiten. Shas z.B. braucht Geld. Lieberman könnte Immunität brauchen.

Vor der Wahl sah es so aus, als wollten Likud und Arbeitspartei nach der Wahl zusammen arbeiten, um die Kadima-Partei in die Opposition zu schicken und die Partei dadurch zum Zerfall zu bringen. Kadima war und bleibt eine Partei ohne richtige Infrastruktur, Mitgliedschaft oder Ideologie. Um Kadima kaputt zu machen, mussten aber Barak und Netanyahu zeigen, dass sie es wirklich können, d.h. dass sie stark genug sind. Das war nicht der Fall.

Jetzt könnten Likud und Kadima zusammen gegen Lieberman koalieren und nicht mit ihm. Livni wird nur an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn sie sich mit einem Verdächtigen wie Lieberman liiert. Netanyahu weiß schon aus eigener Erfahrung, wie gefährlich Lieberman sein kann.

So oder so – in der Regierung oder in der Opposition – kann Lieberman leider nur gewinnen. Auch wenn er eventuell vor einem Gericht steht und später in einem Gefängnis sitzt, wird es nicht heißen, dass seine politische Kariere zu Ende gekommen wäre. Ein anderer Politiker, der schon im Gefängnis war, bereitet jetzt sein politisches Comeback vor – Aryeh Deri, der legendäre machiavelistische Leader von Shas.

Eine Wahl, die eine politische Krise beenden sollte, hat eine neue politische Krise in Israel verursacht. Und dies gerade in Zeiten, in denen Israel sich mit vielen Problemen beschäftigen sollte: die Krise mit dem Iran, die Krise mit der Hamas, die wirtschaftliche Krise und eine neue, unbekannte amerikanische Administration.

Sollte man sich in einer solcher Situation tatsächlich Sorgen um Israels Friedenswillen machen?

Immer wieder wird von Israel verlangt, mehr für den Frieden zu tun, als wäre nur Israel für den Frieden verantwortlich und als hätte Israel bis Heute nicht genug für den Frieden getan. Das ist eine absolute falsche Behauptung.

So wird z.B. behauptet, die Israelis hätte sich mehr als 80% des historischen Palästina genommen und versuchten jetzt, die verbliebenen 20% von den Palästinensern zu rauben. Tatsache ist, dass 80% vom historischen Palästina zu Jordanien gehören. Die Israelis streiten jetzt mit den Palästinensern über das, was noch übrig bleibt. Eine langfristige Lösung für den sogenannten „Palästina-Konflikt“ muss dann auch Jordanien mit einbeziehen.

Israel wird für die längste Besatzung der modernen Geschichte verantwortlich gemacht. Hier vergisst man die Besatzung von Tibet, um nur ein Beispiel zu nennen. Tatsache ist aber, dass Israel in den letzten 30 Jahren auf etwa 70% der sogenannten „besetzten Gebiete“ verzichtet hat, in Rahmen eines politischen Abkommens oder unilateral. Sinai, Gaza-Streifen und Süd-Libanon wurden geräumt. Die israelische Armee verließ sogar Teile vom Westjordanland – bis zum Ausbruch der zweiten Intifada. Die Fälle von Gaza-Streifen und Süd-Libanon hatten den Israelis gezeigt, wie sinnlos es ist, Gebiete ohne ein politisches Abkommen zu verlassen.

Mit Ägypten und Jordanien unterzeichnete Israel Friedensabkommen. Beide Länder sind aber in den letzten Jahren zu Zentren der anti-israelichen Hetze geworden. Ägypten hat nichts unternommen, um den Waffenschmuggel an die Hamas zu vermeiden. Damit trägt Kairo erneut (wie schon in den 50er Jahre) die Verantwortung für die dramatischen Ereignisse der letzten Wochen.

Es gibt eigentlich keinen Frieden zwischen Israel, Ägypten und Jordanien. Es gibt nur eine Nicht-Kriegs-Situation. Es gibt Israelis, die sich damit zufrieden geben, obwohl diese Lage zu keiner langfristigen Versöhnung in der Region beitragen kann. Es gibt aber viele andere Israelis, die sich fragen, warum sie weitere Kompromisse für den Frieden akzeptieren sollen, wenn Kompromisse bis heute zu keinem Frieden geführt haben.

Es wird behauptet, dass die jüdischen Siedlungen der Haupthindernis zum Frieden seien. Zwei Mal hat Israel bewiesen, dass dies nicht der Fall ist – in Sinai und im Gaza-Streifen. Falls wir ein „judenreines Palästina“ haben wollen, sollten wir auch die Idee von einem „araberreinen Israel“ akzeptieren?

Und warum sollte Israel, zumindest offiziell, das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlingen anerkennen? Dieses Problem wird noch immer von der internationalen Gemeinschaft künstlich am Leben erhalten. Dadurch sabotiert man sehr aktiv eine mögliche friedliche Lösung in der Region. Ab dem Moment, in dem die Palästinenser die volle Verantwortung für den Gaza-Streifen bekommen haben, sollte es dort keine mehr Flüchtlingslager und Flüchtlingsorganisation gegeben haben. Der Erhalt solcher Strukturen kann von den Palästinensern nur so interpretiert werden: eines Tages kehrt ihr alle zurück.

Das kommt aber nicht in Frage. Die internationale Gemeinschaft muss jetzt im Rahmen des Wideraufbaus vom Gaza-Streifen endlich die Lager auflösen und trotz politischen Widerstands der palästinensischen Behörden diesen Menschen endlich normale Lebensbedingungen anbieten. Sonst macht es keinen Sinn, weitete finanzielle Ressourcen dorthin fließen zu lassen.

Eine solche Unterstützung bringt keine Lösung. Eine solche Unterstützung macht eine Lösung unmöglich.

Erlauben sie mir in diesem Zusammenhang den Herrn Muamar Gadhafi zu zitieren. In einem Kommentar, der am 23. Januar dieses Jahres in der „International Harald Tribune“ erschienen ist, schreibt der libysche Staatsführer, der sicher kein Zionist ist, u.a.: „Es ist eine Tatsache, dass Palästinenser in diesem Land wohnten und Farmen und Häuser besaßen, bevor sie vor Angst geflohen sind. Sie hatten Angst vor den Gewalttaten der Juden nach ´48, aber diese Gewalt hat nicht stattgefunden. Nur Gerüchte über diese Gewalt verursachten eine massive Flucht. Es ist wichtig zu notieren, dass die Juden keinen Palästinenser zur Flucht zwangen. Sie (die Palästinenser) waren nie unwillkommen“.

Gadhafi entwickelt in seinem Kommentar seine bekannte Idee, wonach nur ein Staat für beide Völker mit dem Namen „Israestine“ den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern lösen könnte.

In einer weiteren Zukunft könnte tatsächlich eine Art Konföderation im heiligen Land entstehen. Wenn die Palästinenser in die Automieverhandlungen von 1980 eingestiegen wären, wenn Arafat das Taba-Abkommen 2001 akzeptiert hätte statt die zweite Intifada zu führen, wären wir heute bestimmt näher an einer solchen Lösung.

Aber um einen Frieden erreichen zu können, sollte man den Mut von einem Gadhafi haben, sich von Propaganda und Mystifizierung zu entfernen und die Realität mit allen ihren Facetten zu akzeptieren. Eine Einseitigkeit hat uns bis jetzt nirgendwo hin gebracht. Solange die Israelis den Eindruck haben, dass sie umsonst Kompromisse machen, ohne dem Frieden einen Zentimeter näher zu kommen, darf man sich keine Sorgen um Israels Friedenswillen machen.

Vielen Dank.

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